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07.06.2011
Arbeitnehmerbesteuerung/ Sozialversicherung

BFH: Bindungswirkung einer Anrufungsauskunft

Sachverhalt

Beim FG Düsseldorf waren zahlreiche Verfahren anhängig, in denen sich Arbeitnehmer unter Berufung auf eine zuvor erteilte Lohnsteueranrufungsauskunft gegen Steuernachforderungen der Wohnsitzfinanzämter wenden. Ausganspunkt des Streits waren Sonderzahlungen, welche der Arbeitgeber im Zusammenhang mit dem Wechsel der Zusatzversorgungskasse im Rahmen einer Nachteilsausgleichszahlung geleistet hatte und die in den Jahren 2002 bis 2005 zu Unrecht der Lohnversteuerung unterworfen wurden. Zunächst hatte das Finanzgericht die Vollziehung eines Einkommensteuerbescheides [FG Düsseldorf, Beschluss vom 14.05.2009 – 13 ‚V 757/09 A(E)] und in einer Entscheidung vom 28. Mai 2009 [13 V 801/09 A(E)] die Vollziehung eines Nachforderungsbescheides wegen ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Bescheide ausgesetzt.

Ein anderer Senat des Finanzgerichts Düsseldorf hatte in zwei Verfahren die Klagen der Arbeitnehmer in der Hauptsache abgewiesen. Einer Anrufungsauskunft kommt, so das FG Düsseldorf in seinen beiden Urteilen, nur im Verhältnis zwischen dem Betriebsstättenfinanzamt und dem Arbeitgeber Bindungswirkung zu. Die einem Arbeitgeber erteilte Anrufungsauskunft entfaltet dagegen keine Bindungswirkung für das zuständige Finanzamt im Rahmen des Einkommensteuer-Veranlagungsverfahrens des Arbeitnehmers. Die vom FG Düsseldorf zugelassene Revision wurde gegen beide Urteile vom 05.11.2009 beim Bundesfinanzhof eingelegt und entschieden. Die übrigen beim FG Düsseldorf anhängigen Verfahren ruhten im Hinblick auf die beiden anhängigen Revisionsverfahren beim BFH und sind nun ebenfalls entschieden.

Entscheidung

Nach Auffassung des BFH hat das Finanzgericht zu Recht entschieden, dass eine Änderung des Einkommensteuerbescheids nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO rechtmäßig war. Nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen. Eine Tatsache ist nachträglich bekannt geworden, wenn sie das Finanzamt bei Erlass des zu ändernden Steuerbescheids noch nicht kannte. Maßgeblicher Zeitpunkt für den Kenntnisstand ist die abschließende Zeichnung des für die Steuerfestsetzung zuständigen Beamten. Wissen eines Außenprüfers führt nicht zu eigenen Kenntnissen des zuständigen Wohnsitzfinanzamtes, wenn der Außenprüfer nicht selbst die Steuern festsetzt. Kennt eine andere als die für die Bearbeitung des Steuerfalls zuständige Dienststelle die betreffende Tatsache, so ist sie deswegen nicht auch der zuständigen Dienststelle als bekannt zuzurechnen.

Nach diesen Grundsätzen ist in dem vom BFH entschiedenen Fall dem Finanzamt die Tatsache der Eintragung eines zu geringen Bruttoarbeitslohns in der Lohnsteuerbescheinigung des Klägers nachträglich bekannt geworden. Das für die Veranlagung der Einkommensteuer zuständige Wohnsitzfinanzamt des Klägers hatte zum Zeitpunkt der abschließenden Zeichnung der Erstveranlagung keine positive Kenntnis von der Fehlerhaftigkeit der Lohnsteuerbescheinigung. Zudem können mögliche Kenntnisse der zentralen Außenprüfungsstelle Lohnsteuer oder der Oberfinanzdirektion über die fehlerhafte Lohnsteuerbescheinigung des Klägers am Tag der abschließenden Zeichnung dem Finanzamt nicht zugerechnet werden.

Nach Auffassung des BFH kann das Vorbringen der Revision, dass sich das Finanzamt nach dem Grundsatz von Treu und Glauben nicht auf die nachträgliche Kenntnis von Tatsachen berufen könne, weil die Unkenntnis nur auf ein pflichtwidrigen Verhalten der Oberfinanzdirektion zurückzuführen sein, nicht überzeugen. Wenn sich das Finanzamt positive Kenntnisse der Oberfinanzdirektion nicht zurechnen lassen muss, kann eine auf pflichtwidrigem unterlassen beruhende Unkenntnis der Oberfinanzdirektion nicht über den Grundsatz von Treu und Glauben zu einer Kenntniszurechnung beim Finanzamt führen. Selbst wenn die Oberfinanzdirektion verpflichtet gewesen wäre, den Sachverhalt zeitnah aufzuklären und die Wohnsitzfinanzämter vor der ersten Veranlagungen zu informieren, führt dies nicht dazu, das dem Finanzamt eine Berufung auf die nachträglich bekannt gewordenen Tatsache verwehrt ist.

Kenntnisse einer weisungsbefugten Oberbehörde über eine dem Veranlagungsfinanzamt bei der Steuerfestsetzung nicht bekannten Tatsache muss sich dieses im Rahmen des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO nicht zurechnen lassen. Auch § 42d Abs. 3 Satz 4 EStG beschränkt die Arbeitnehmerhaftung bei der Inanspruchnahme des Arbeitnehmers im Veranlagungsverfahren nicht.

Betroffene Normen

§ 173 Abs. 1 Nr. 1 AO, § 42d Abs. 3 S. 4 EStG

Vorinstanz

Finanzgericht Düsseldorf, Urteil vom 05.11.2009, 11 K 1116/09 E, siehe Zusammenfassung in den Deloitte Tax-News

Fundstelle

BFH, Urteil vom 13.01.2011, VI R 63/09, BFH/NV 2011, S. 743

Weitere Fundstellen

BFH, Urteil vom 13.01.2011, VI R 61/09, siehe ausführlicher in den Deloitte Tax-News
BFH, Urteil vom 13.01.2011, VI R 62/09, BFH/NV 2011, S. 751
BFH, Urteil vom 13.01.2011, VI R 64/09, BFH/NV 2011, S. 753

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Ansprechpartner

Jochen Schreiber | Düsseldorf 
Efthimia Bichmann | Düsseldorf

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