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25.04.2014
Rechnungslegung

BFH: Rückstellungen wegen Erfüllungsrückstandes

Rückstellungen wegen Erfüllungsrückstandes sind zu bilden, wenn ein Versicherungsvertreter die Abschlussprovision nicht nur für die Vermittlung der Versicherung, sondern auch für die weitere Betreuung des Versicherungsvertrags erhält. Eine Beschränkung der Pflicht zur Bildung von Rückstellungen auf wesentliche Verpflichtungen lässt sich den Regelungen des EStG nicht entnehmen. Voraussetzung für die Rückstellungsbildung ist jedoch eine rechtliche Verpflichtung zur Betreuung der Versicherungen.

Sachverhalt

Der Kläger begehrt die Bildung einer Rückstellung für die Betreuung bereits abgeschlossener Lebensversicherungsverträge. Er vermittelte im Rahmen seiner Versicherungsagentur Versicherungsverträge, für die er neben einer Abschlussprovision ein Pflegegeld für die Betreuung des jeweiligen Bestandes (Bestandspflegeprovision) erhielt. In seiner Gewinnermittlung für das Streitjahr 2004 passivierte der Kläger erstmals eine Rückstellung für Bestandspflege. Das Finanzamt versagte den Ansatz einer Rückstellung. Das FG gab der Klage teilweise statt. Die Rückstellung sei dem Grunde nach berechtigt.

Entscheidung

Die Bildung einer Rückstellung für die Verpflichtung zur Nachbetreuung von Versicherungsverträgen ist grundsätzlich geboten. Gemäß § 5 Abs. 1 EStG sind für ungewisse Verbindlichkeiten Rückstellungen zu bilden. Zwar dürfen Ansprüche und Verbindlichkeiten aus einem schwebenden Geschäft in der Bilanz grundsätzlich nicht ausgewiesen werden; geboten ist ein Bilanzausweis u.a. aber bei Vorleistungen und Erfüllungsrückständen (Beschluss des Großen Senats des BFH vom 23.06.1997). Es entspricht der gefestigten BFH-Rechtsprechung, dass Rückstellungen wegen Erfüllungsrückstandes zu bilden sind, wenn ein Versicherungsvertreter die Abschlussprovision nicht nur für die Vermittlung der Versicherung, sondern auch für die weitere Betreuung des Versicherungsvertrags erhält (BFH-Urteil vom 09.12.2009).

Dem Einwand des Finanzamtes, die Bildung der Rückstellung sei wegen Unwesentlichkeit der Verpflichtung ausgeschlossen, vermag der Senat nicht zu folgen. Es fehlt bereits an einer rechtlichen Grundlage für die Annahme, die Bildung einer Rückstellung sei nur bei wesentlichen Verpflichtungen zulässig. Den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung und den Regelungen des EStG lässt sich keine Einschränkung der Pflicht zur Bildung von Rückstellungen auf wesentliche Verpflichtungen entnehmen. Ein solcher Rechtssatz folgt auch nicht - wie vom Finanzamt angenommen - aus der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung.

Eine Rückstellung für die Verpflichtung zur Nachbetreuung von Versicherungsverträgen setzt allerdings voraus, dass der Steuerpflichtige zur Betreuung der Versicherungen rechtlich verpflichtet ist. Einbezogen werden dürfen nur Leistungen für die Betreuung bereits abgeschlossener Verträge. Werbeleistungen mit dem Ziel, Kunden (auch Bestandskunden) zu neuen Vertragsabschlüssen zu veranlassen (Einwerbung von Neugeschäften), sind nicht rückstellbar. Nicht einzubeziehen ist der Aufwand für die eigene künftige Arbeitsleistung des Betriebsinhabers; Vertreter ohne angestelltes Personal können daher von vornherein keine Rückstellung bilden. Sollte neben dem angestellten Personal auch der Einzelunternehmer selbst in die Betreuung eingeschaltet sein, könnte für den von ihm erbrachten Teil der Leistungen ebenfalls keine Rückstellung gebildet werden.

Für die Höhe der Rückstellung ist der jeweilige Zeitaufwand für die Betreuung pro Vertrag und Jahr von entscheidender Bedeutung. Zur Darlegung des (voraussichtlichen) Zeitaufwandes ist die genaue Beschreibung der einzelnen Betreuungstätigkeiten notwendig. Es müssen insoweit konkrete Aufzeichnungen geführt und vorgelegt werden, die eine angemessene Schätzung der Höhe der zu erwartenden Betreuungsaufwendungen ermöglichen.

Betroffene Norm

§ 5 Abs. 1 EStG, § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. b EStG

Streitjahr 2004

Anmerkungen

BFH, Urteil vom 13.07.2017, IV R 34/14

In einem weiteren Urteil vom 13.07.2017 (IV R 34/14) hat der BFH die im hier besprochenen Urteil vom 19.07.2011 (X R 26/10) aufgestellten Grundsätze bestätigt und sich darüber hinaus seiner Rechtsprechung im Urteil vom 12.12.2013 (X R 25/11) angeschlossen. Die Abzinsung einer Rückstellung für die Verpflichtung zur Nachbetreuung von Versicherungsverträgen hat sich der Entscheidung zufolge gem. § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. e S. 2 EStG nach dem Zeitraum bis zur erstmaligen Erfüllung der Sachleistungspflicht zu richten. Diesen hat der Steuerpflichtige darzulegen und mit Stichproben zu belegen.

FG Münster vom 09.09.2016

Mit seinem Urteil vom 09.09.2016 (4 K 2068/13 G,F) hatte sich das FG Münster dem BFH-Urteil vom 19.07.2011 dahingehend angeschlossen, dass es für die Bildung einer Rückstellung wegen Erfüllungsrückstands aufgrund einer Verpflichtung zur Nachbetreuung von Versicherungsverträgen einer rechtlichen (gesetzlichen oder vertraglichen) Verpflichtung bedürfe. Dazu reiche weder eine vertragliche „Bestandserweiterungstendenz“ noch eine „Bemühungspflicht“ (für den Erhalt bestehender Verträge) aus. Auch könne eine spätere „Klarstellung“ über das Bestehen einer Nachbetreuungspflicht eine solche nicht rückwirkend begründen.

Ferner reiche es für die Bildung einer Rückstellung nicht aus, dass die Nachbetreuung – auch ohne rechtliche Verpflichtung – tatsächlich erfolge und branchenüblich sei. Abzuwarten bleibt, wie der BFH in dem anhängigen Verfahren IV R 49/16 entscheiden wird.

BFH vom 12.12.2013

Der BFH hat die oben dargestellten Grundsätze nun in einer weiteren Entscheidung bestätigt und darüber hinaus darauf hingewiesen, dass eine Rückstellung für Erfüllungsrückstand nach Maßgabe des § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. e S. 2 EStG abzuzinsen sei. Maßgebend sei insoweit der Zeitraum bis zum Beginn der Erfüllung, d.h. bis zur konkreten Umsetzung der Sachleistungspflicht.

Weiterhin gelangt der BFH zu der Erkenntnis, dass die Bildung der Rückstellung nicht allein daran scheitere, dass der Steuerpflichtige keine der Rechtsprechung entsprechenden Aufzeichnungen über den Umfang der Betreuungsleistungen vorlegen kann. Für die grundsätzliche Berechtigung zur Rückstellungsbildung genüge, dass der Steuerpflichtige vertraglich zur weiteren Betreuuung der von ihm vermittelten Versicherungsverträge verpflichtet sei und auch tatsächlich entsprechende Nachbetreuungsleistungen erbracht habe. Der tatsächliche Umfang der Nachbetreuungsleistungen sei erst für die konkrete Bemessung der Höhe der Rückstellung von Bedeutung. Könne der Steuerpflichtige keine substantiierten Aufzeichnungen vorlegen, müsse - da den Steuerpflichtigen die Darlegungs- und Beweislast treffe - sich die dann vorzunehmende Schätzung des Betreuungsaufwandes im unteren Rahmen bewegen.

Vorinstanzen

Finanzgericht München, Urteil vom 24.09.2009, 15 K 2764/07, EFG 2010, S. 2105

Finanzgericht Niedersachsen, Urteil vom 11.05.2011, 2 K 11301/08 (zu BFH vom 12.12.2013)

Fundstellen

BFH, Urteil vom 19.07.2011, X R 26/10

BFH, Urteil vom 12.12.2013, X R 25/11

Weitere Urteile zur Bildung einer Rückstellung für die Verpflichtung zur Nachbetreuung von Versicherungsverträgen:

BFH, Urteil vom 25.07.2019, IV R 49/16, nicht amtlich veröffentlicht

BFH, Urteil vom 13.07.2017, IV R 34/14, nicht amtlich veröffentlicht

BFH, Urteil vom 19.07.2011, X R 48/08, nicht amtlich veröffentlicht

BFH, Urteil vom 19.07.2011, X R 9/10, nicht amtlich veröffentlicht

BFH, Urteil vom 19.07.2011, X R 8/10, nicht amtlich veröffentlicht

Weitere Fundstellen

Großer Senat des BFH, Beschluss vom 23.06.1997, GrS 2/93, BStBl II 1997, S. 735

BFH, Urteil vom 09.12.2009, X R 41/07, BFH/NV 2010, S. 860

Finanzgericht Münster, Urteil vom 09.09.2016, 4 K 2068/13 G,F, BFH-anhängig: IV R 49/16

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