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26.01.2016
Thema des Monats

Abfindungsbesteuerung: BFH verneint Bindungswirkung von Konsultationsvereinbarungsverordnungen

Aufgrund ihrer hohen Bedeutsamkeit sowohl für Arbeitgeber als auch für Arbeitnehmer, aber auch aufgrund der jüngsten Entwicklungen in der Finanzgerichtsrechtsprechung, ist die (internationale) Besteuerung von Abfindungen immer wieder im Fokus der Deloitte Tax News (vgl. hierzu insbesondere unseren Beitrag vom 20.06.2014, in welchem wir in einem Überblick die steuerlichen Grundsätze der (internationalen) Abfindungsbesteuerung dargestellt haben). In seiner – von der Fachwelt mit Spannung erwarteten – Entscheidung vom 10.06.2015 (veröffentlicht am 30.09.2015) hat der Bundesfinanzhof (BFH) nun in diesem Zusammenhang zur Bedeutung von Konsultationsvereinbarungsverordnungen für die Auslegung von Doppelbesteuerungsabkommen Stellung genommen:

Nach ständiger Rechtsprechung des BFH und auch nach grundsätzlicher Auffassung der Finanzverwaltung werden Abfindungen, die aus Anlass der Beendigung von Arbeitsverhältnissen gezahlt werden, nicht für die (bisher ausgeübte) konkrete Tätigkeit gezahlt, sondern als Ausgleich für den Verlust des Arbeitsplatzes und die damit verbundenen Nachteile. Dies führt in grenzüberschreitenden Fällen (z. B. ein Arbeitnehmer zieht nach Beendigung seines deutschen Arbeitsverhältnisses ins Ausland und die Abfindung wird zu einem Zeitpunkt gezahlt, zu welchem er keinen Wohnsitz mehr in Deutschland hat – oder umgekehrt) zu einer Zuweisung des Besteuerungsrechts ausschließlich an den (abkommensrechtlichen) Wohnsitzstaat des Arbeitnehmers zum Zeitpunkt der Abfindungszahlung, sofern Deutschland mit dem betroffenen Land ein Doppelbesteuerungsabkommen abgeschlossen hat (vgl. hierzu ausführlich unseren Beitrag vom 20.06.2014).

Um in diesem Zusammenhang durch eine doppelte Nichtbesteuerung das Entstehen sog, „weißer Einkünfte“ (d. h., Einkünfte, die faktisch nicht besteuert werden, weil z. B. der Ansässigkeitsstaat trotz abkommensrechtlicher Zuweisung des Besteuerungsrechts aus deutscher Sicht die Abfindungszahlung aufgrund nationaler Vorschriften oder einer abweichenden Abkommensanwendung nicht besteuert) zu verhindern, wurden von der Finanzverwaltung mit einzelnen Ländern sog. Verständigungsvereinbarungen (Konsultationsvereinbarungen) geschlossen, nach welchen das Besteuerungsrecht – abweichend von den oben genannten Grundsätzen – für Abfindungen, die allgemein für die Auflösung des Arbeitsvertrags gewährt werden (und keinen Versorgungscharakter haben), nicht dem Ansässigkeitsstaat, sondern dem früheren aktiven Tätigkeitsstaat zugeordnet werden soll.

Nachdem der BFH in der Vergangenheit bereits im Hinblick auf die Konsultationsvereinbarungen entschieden hatte, dass die Gerichte nicht an diese gebunden seien, wurde eine gesetzliche Ermächtigungsnorm (§ 2 Abs. 2 AO) geschaffen, mittels derer die bestehenden Verständigungsvereinbarungen in Deutschland jeweils in eine Rechtsverordnung umgesetzt wurden. Das Finanzgericht Hessen hatte in seiner Entscheidung vom 08.10.2013 im Hinblick auf die mit der Schweiz abgeschlossene Konsultationsvereinbarung jedoch auch die entsprechende Rechtsverordnung zur Umsetzung dieser Vereinbarung als nicht bindend für die Finanzgerichte erachtet soweit sie inhaltlich im Widerspruch zum Doppelbesteuerungsabkommen steht und daher den Vorrang des Gesetzes nicht wahre. In dem entschiedenen Fall wurde dementsprechend vom Finanzgericht abweichend von der Konsultationsvereinbarungsverordnung dem (neuen) Wohnsitzstaat das Besteuerungsrecht für die Abfindungszahlung zugewiesen. Die Finanzverwaltung hatte gegen dieses Urteil Revision beim BFH eingelegt.

In seinem Urteil vom 10.06.2015 hat der BFH nun über die Revision entschieden und ist in Übereinstimmung mit der herrschenden Meinung im Schrifttum sowie in Fortsetzung seiner ständigen Rechtsprechung zu den Verständigungsvereinbarungen dem Urteil des FG Hessen gefolgt:

Auch der BFH ist der Auffassung, dass die Konsultationsvereinbarungsverordnung im Widerspruch zu dem – jede Auslegung begrenzenden – Wortlaut des mit der Schweiz abgeschlossenen Doppelbesteuerungsabkommens (DBA Schweiz) steht. Nach der vom deutschen Grundgesetz vorgeschriebenen sog. Normenhierarchie stehe die Konsultationsvereinbarungsverordnung als Rechtsverordnung in der Normenhierarchie unter dem DBA Schweiz als Gesetz und könne daher dieses nicht ändern oder sogar durchbrechen. Zum anderen äußert der BFH in diesem Urteil auch Zweifel daran, ob die entsprechende Ermächtigungsnorm in der Abgabenordnung den im Grundgesetz verankerten Bestimmtheitserfordernissen genügt. Folgerichtig hat der BFH entschieden, dass auch die in eine Rechtsverordnung umgesetzte Konsultationsvereinbarung die Gerichte nicht bindet, soweit diese über den Abkommenstext hinaus geht bzw. inhaltlich im Widerspruch zu diesem steht.

Zudem hat der BFH in dem oben genannten Urteil festgestellt, dass die Konsultationsvereinbarungsverordnung trotz des auf den 01.01.2010 bestimmten Anwendungszeitpunktes nicht vor dem Zeitpunkt ihres tatsächlichen Inkrafttretens am 23.12.2010 anzuwenden ist. In dem diesem Urteil zu Grunde liegenden Fall wurde die Anwendung der Konsultationsvereinbarungsverordnung unabhängig von den oben dargestellten Gründen der Verfassungswidrigkeit bereits deshalb versagt, weil die Abfindung zwar im Jahr 2010, aber vor dem 23.12.2010 gezahlt worden ist.

Die Entscheidung des BFH hat nicht nur Bedeutung für die in Bezug auf die Schweiz bestehende Konsultationsvereinbarungsverordnung, sondern ist für sämtliche im Hinblick auf die Abfindungsbesteuerung existierenden Konsultationsvereinbarungsverordnungen – und somit auch für die mit Belgien, Österreich, Niederlande, Luxemburg und Großbritannien bestehenden Verordnungen – relevant. Bisher ist nicht abzusehen, wie die deutschen Finanzbehörden auf das Urteil des BFH reagieren werden. Sollten Entlassungsabfindungen bei grenzüberschreitenden Sachverhalten grundsätzlich in den Anwendungsbereich von Konsultationsvereinbarungsverordnungen fallen, die über den Wortlaut des jeweiligen Doppelbesteuerungsabkommens hinaus gehen bzw. durch den Wortlaut des Doppelbesteuerungsabkommens nicht gedeckt sind, sollten die betroffenen Veranlagungsverfahren daher ggf. unter Verweis auf die Rechtsprechung des BFH offen gehalten werden, um steuerliche Nachteile zu vermeiden. Soweit sich die Anwendung einer Konsultationsvereinbarungsverordnung jedoch im Einzelfall steuerlich günstiger auswirken würde, sollte diese nach unserer Auffassung auch angewendet werden können, da die Finanzverwaltung an die in der Verständigungsvereinbarungsverordnung enthaltenen Regelungen gebunden ist.

Unabhängig von der oben dargestellten und vom BFH entschiedenen Problematik der Bindungswirkung der Verständigungsvereinbarungsverordnungen ist in Fällen, in denen zeitlich nach Erlass der entsprechenden Verordnung ein neues Doppelbesteuerungsabkommen in Kraft getreten ist, eine bestehende Verständigungsvereinbarung ggf. bereits auch aus dem Grunde nicht anwendbar, dass sie mit Inkrafttreten des neuen Doppelbesteuerungsabkommens ihre Wirksamkeit verloren hat: So ist mit Inkrafttreten des neuen Doppelbesteuerungsabkommens mit den Niederlanden vom 04.12.2012 (DBA Niederlande 2012) am 01.12.2015 das alte Doppelbesteuerungsabkommen außer Kraft getreten. Die bestehende Konsultationsvereinbarungsverordnung, welche auch die Zuordnung des Besteuerungsrechts für Abfindungen regelt, bezieht sich gemäß ihrem Wortlaut jedoch lediglich auf das „alte“ Doppelbesteuerungsabkommen. Auch die Verständigungsvereinbarung selber sollte bei Außerkrafttreten des (alten) Doppelbesteuerungsabkommens außer Kraft treten. Nach unserer Auffassung ist die Verständigungsvereinbarungsverordnung daher – soweit das DBA Niederlande 2012 anzuwenden ist – nicht mehr gültig. Etwas anderes sollte z. B. jedoch für den Fall des ebenfalls (relativ) neuen mit Luxemburg abgeschlossenen Doppelbesteuerungsabkommen vom 23.04.2012 gelten: hier enthält bereits die Verständigungsvereinbarung einen Zusatz, dass diese auch für ein neues Doppelbesteuerungsabkommen gelten soll (soweit inhaltsgleich), so dass auch die entsprechende Verständigungsvereinbarungsverordnung für das neue Doppelbesteuerungsabkommen anzuwenden sein dürfte.

Auch wenn der BFH in seiner jüngsten Entscheidung seine Auffassung zur Bindungswirkung von Verständigungsvereinbarungen bzw. der entsprechenden Verordnungen bekräftigt hat und ein wenig zur Erhöhung der Rechtssicherheit in der Abfindungsbesteuerung beitrug, bleibt die internationale Besteuerung von Abfindungen weiterhin ein hochkomplexes Thema – insbesondere bleibt auch abzuwarten, wie die Finanzverwaltung auf die jüngsten Entwicklungen in der Rechtsprechung reagieren wird.
 

Fundstelle

BFH, Urteil vom 10.06.2015, I R 79/13

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