Die Kläger sind Eheleute, die in Deutschland gemeinsam zur Einkommensteuer veranlagt wurden. Die Klägerin, die französische Staatsangehörige ist, war als Beamtin für die französische Finanzverwaltung tätig und erzielte Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit. In Frankreich wurden die Bruttobezüge der Klägerin u.a. um Beiträge zu einer Altersvorsorge- und Krankenversicherung gekürzt.
Im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung wurden die aus Frankreich stammenden Einkünfte gem. Art. 14 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 lit. a) DBA Frankreich von der Besteuerung ausgenommen, da das Besteuerungsrecht insoweit dem Kassenstaat Frankreich zustand. Die Bruttobezüge wurden in Übereinstimmung mit dem DBA im Rahmen des Progressionsvorbehalts gem. § 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG berücksichtigt.
Die Altersvorsorge- und Krankenversicherungsbeiträge der Klägerin wurden nicht von den steuerfreien Einkünften abgezogen, da es sich um Sonderausgaben handelte. Ein Sonderausgabenabzug bei der Ermittlung des in Deutschland insgesamt zu versteuernden Einkommens scheiterte jedoch an dem Abzugsverbot des § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG. Die gesetzliche Regelung des § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG bestimmt, dass Vorsorgeaufwendungen dann nicht als Sonderausgaben abziehbar sind, wenn ein unmittelbarer wirtschaftlicher Zusammenhang mit steuerfreien Einnahmen besteht. Dieser Zusammenhang bestehe aber aufgrund der nach DBA steuerfreien Einkünfte.
Der BFH hegte Zweifel daran, ob diese Abzugsbeschränkung mit Unionsrecht vereinbar ist und legte dem EuGH Zweifelsfragen zur Vorabentscheidung vor. Insbesondere seien vergleichbare Beiträge eines in Deutschland tätigen Arbeitnehmers zur Sozialversicherung abziehbar, so dass die bestehende Regelung davon abhalten könne, die Arbeitnehmerfreizügigkeit in Anspruch zu nehmen und daher eine nicht gerechtfertigte Beschränkung der Grundfreiheit darstellen könne.
Der EuGH befasste sich im zu entscheidenden Fall zunächst ausführlich mit der Anwendbarkeit der einschlägigen Grundfreiheit. Der Arbeitnehmerfreizügigkeit steht allerdings nicht entgegen, dass die Klägerin in der öffentlichen Verwaltung beschäftigt war. Die rechtliche Natur des Beschäftigungsverhältnisses ist nach Auffassung des EuGHs nicht entscheidend.
Das Gericht entschied, dass die Regelung des § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG der Arbeitnehmerfreizügigkeit entgegensteht. Das Abzugsverbot führt zur Verweigerung einer steuerlichen Vergünstigung, in dem es an einen unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang zu steuerfreien Einkünften anknüpft.
Zwar ist § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG auch auf rein innerstaatliche Fälle anwendbar, wie beispielsweise bei Bezug von Krankengeld oder steuerfreien Gehaltszuschlägen. Jedoch sind diese Arten von Zahlungen nicht mit Löhnen und Gehältern von sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmern vergleichbar. Daher wirkt sich das Abzugsverbot trotz der unterschiedslosen Anwendbarkeit stärker auf Steuerpflichtige aus, die in einem anderen Mitgliedsstaat arbeiten. Diese nachteilige Behandlung stellt eine Beschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit dar.
Die Beschränkung ist nach Auffassung des EuGHs auch nicht gerechtfertigt. Die rein nationale Situation ist mit der grenzüberschreitenden Situation vergleichbar. Der EuGH weist darauf hin, dass es Sache des Wohnsitzstaates ist, dem Steuerpflichtigen sämtliche an seine persönliche und familiäre Situation geknüpften steuerlichen Vergünstigungen zu gewähren. Auch zwingende Gründe des Allgemeininteresses, wie die Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnis und die Kohärenz des Steuersystems, rechtfertigen nicht die Beschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit.
Im Ergebnis sollen Vorsorgeaufwendungen auch dann abziehbare Sonderausgaben sein, wenn die Beiträge in unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhang zu steuerfreien Einkünften stehen.
§ 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG
Die Entscheidung betrifft alle Personen, die in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig sind und deren Einnahmen aufgrund einer Auslandstätigkeit in der EU nach einem DBA steuerfrei sind. Das betrifft sowohl Steuerpflichtige, die im Rahmen einer befristeten Entsendung außerhalb Deutschlands tätig sind und weiterhin Beiträge in die inländische Sozialversicherung leisten als auch den umgekehrten Fall eines ausländischen Mitarbeiters, der während einer Inlandsentsendung Beiträge zur Sozialversicherung seines Heimatstaats leistet.
Es bleibt abzuwarten, wie der Gesetzgeber die Vorschrift des § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG an die Entscheidung des EuGHs anpassen wird. Folgt man der Auffassung des EuGH, wird es Aufgabe des Wohnsitzstaates sein, sämtliche an die persönliche und familiäre Situation geknüpften steuerlichen Vergünstigungen zu gewähren.
In einem nunmehr seit dem 21.09.2017 unter dem Aktenzeichen C-480/17 anhängigen Verfahren wird der EuGH weiterhin zu entscheiden haben, ob es mit der europäischen Niederlassungsfreiheit vereinbar ist, wenn Altersvorsorgeaufwendungen eines beschränkt Steuerpflichtigen nicht einkommensmindernd berücksichtigt werden. Das FG Köln hat mit Beschluss vom 03.08.2017 (Az.: 15 K 950/13) dem EuGH Zweifelsfragen zur Vorabentscheidung vorgelegt. Zu entscheiden hat es über die Klage eines Rechtsanwalts, der inländische Einkünfte erzielt und Pflichtbeiträge in das berufsständische Versorgungswerk leistete. Der Abzug der Vorsorgeaufwendungen ist vom Finanzamt unter Verweis auf § 50 Abs. 1 Satz 3 EStG abgelehnt worden.
BFH, Beschluss vom 16.9.2015, I R 62/13, DStR 2016, 113.
FG Baden-Württemberg, Urteil vom 31.07.2013, 14 K 2265/11; EFG 2014, 774
EuGH, Urteil vom 22.6.2017, C-20/16.
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