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28.07.2011
Steuerrecht

FG Baden-Württemberg: Physische Anwesenheit bei der Prüfung der 183-Tage-Grenze auch beim DBA Frankreich entscheidend

Übt ein Arbeitnehmer eine nichtselbständige Tätigkeit in einem von seinem abkommensrechtlichen Ansässigkeitsstaat abweichenden Tätigkeitsstaat aus, so bestimmt sich das Besteuerungsrecht nach dem OECD-Musterabkommen (OECD-MA) unter anderem nach der sogenannten „183-Tage-Regel“.

Das OECD-MA ist ein Musterabkommen, das selbst keine rechtliche Bindungswirkung entfaltet; es ist jedoch beabsichtigt, dass sich die von Deutschland abgeschlossenen und rechtlich wirksamen Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) möglichst an den Regelungen des Musterabkommens orientieren.

Die Reglung im DBA zwischen Deutschland und Frankreich sieht daher im Einklang mit dem OECD-MA vor, dass im Falle eines vom Tätigkeitsstaats abweichenden Ansässigkeitsstaats, der Tätigkeitsstaat nur dann das Besteuerungsrecht für die Arbeitseinkünfte hat, wenn sich der Arbeitnehmer an mehr als 183 Tagen im betreffenden Steuerjahr im Tätigkeitsstaat aufhält oder die Vergütung des Arbeitnehmers wirtschaftlich von einem Arbeitgeber mit Sitz im Ansässigkeitsstaat getragen oder gezahlt wird. Als Ansässigkeitsstaat gilt nach dem OECD-MA und dem DBA Deutschland/Frankreich grundsätzlich der Wohnsitzstaat. Hat der Arbeitnehmer in beiden Staaten einen Wohnsitz, gilt als abkommensrechtlicher Ansässigkeitsstaat der Staat, in dem sich der persönliche und wirtschaftliche Lebensmittelpunkt des Arbeitnehmers (i.d.R. Wohnsitz der Familie) befindet.

Gemäß dem OECD-MA ist bei der Ermittlung der Aufenthaltstage nicht die Dauer der beruflichen Tätigkeit entscheidend, sondern die körperliche Anwesenheit im Tätigkeitsstaat. Dabei ist auch eine nur kurzfristige Anwesenheit an einem Tag als voller Aufenthaltstag im Tätigkeitsstaat zu berücksichtigen. Folgende Tage werden grundsätzlich als Anwesenheitstage mitgezählt: An-/und Abreisetage; Samstage, Sonn- und Feiertage vor, während und unmittelbar nach der Tätigkeit, soweit der Arbeitnehmer sich (schon, noch) im Tätigkeitsstaat aufhält; Anwesenheitstage bei Arbeitsunterbrechung (Krankheit, Streik); Urlaubstage, die unmittelbar oder in einem engen zeitlichen Zusammenhang vor, während und nach der Tätigkeit im Tätigkeitsstaat verbracht werden. Kehrt ein Arbeitnehmer somit täglich zu seinem Wohnsitz im Ansässigkeitsstaat zurück, so ist er dennoch täglich im Tätigkeitsstaat anwesend gewesen. Nur Tage, die der Arbeitnehmer aus beruflichen oder privaten Gründen ausschließlich außerhalb des Tätigkeitsstaats verbracht hat, sind nicht zu berücksichtigen.

Das DBA Deutschland/Frankreich stellt ebenfalls auf den Aufenthalt ab. Jedoch werden die DBA oftmals durch Protokolle, Briefwechsel oder andere Dokumente ergänzt und erläutert. Diese Dokumente sind Bestandteile des Abkommens und in gleicher Weise verbindlich. Im Zusammenhang mit Frankreich hat sich Deutschland im Rahmen einer Verständigungsvereinbarung vom 16.02.2006 (BMF-Schreiben vom 03.04.2006) darauf geeinigt, dass abweichend von den Grundsätzen des OECD-MA bei der Ermittlung der Anwesenheitstage auch Sonn- und Feiertage, Urlaubs- und Krankheitstage und kurze Unterbrechungen im Zusammenhang mit Reisen in den Heimatstaat oder in dritte Länder als Aufenthaltstage im Tätigkeitsstaat zu berücksichtigen sind, soweit diese im Rahmen bestehender Arbeitsverhältnisse anfallen und grundsätzlich nicht als Beendigung des vorübergehenden Aufenthalts im Tätigkeitsstaat betrachtet werden können. Dies gilt selbst dann, wen sich der Arbeitnehmer an den betreffenden Tagen tatsächlich körperlich nicht im Tätigkeitsstaat aufgehalten hat.

Im vom Finanzgericht Baden-Württemberg entschiedenen Einzelfall war ein französischer Arbeitnehmer mit ausschließlichem Wohnsitz in Frankreich an 166 Werktagen im Jahr 2001 sowie an 157 Werktagen im Jahr 2002 in Deutschland beruflich tätig. Der Arbeitnehmer kehrte täglich zu seinem französischen Wohnsitz zurück und verbrachte auch die Wochenenden ausschließlich in Frankreich. Das deutsche Finanzamt vertrat unter Berufung auf die Verständigungsvereinbarung die Auffassung, dass Deutschland das Besteuerungsrecht für die für die Tätigkeit in Deutschland gezahlte Vergütung zustehe, da sich der Arbeitnehmer an mehr als 183 Tage im Sinne der Verständigungsvereinbarung in Deutschland aufgehalten habe. Bei der Ermittlung der Aufenthaltstage seien auch die Sonn- und Feiertage in Frankreich als Tage des Aufenthalts im Tätigkeitsstaat Deutschland anzusehen. Gegen diese Auslegung richtet sich die Klage des Arbeitnehmers. Nach Auffassung des Klägers zählen bei der Anwendung der 183-Tage-Regel des Art. 13 Absatz 4 Nr.1 DBA Frankreich/Deutschland nur solche Tage als Aufenthaltstage im Inland, an denen er sich auch tatsächlich berufsbedingt physisch in Deutschland aufgehalten habe. Diese Auffassung hat das FG Baden-Württemberg mit Urteil vom 12.01.2011 bestätigt. Da das DBA auf die Aufenthaltsdauer abstelle, widerspreche die Verständigungsvereinbarung dem Wortlaut des DBAs und entfalte daher keine Wirkung. Es bleibe somit bei der Letztverbindlichkeit des DBA in seiner im Sinne des OECD-MA in nationales Recht umgesetzten Fassung.

Gegen das Urteil wurde jedoch Revision eingelegt. Die endgültige Entscheidung durch den BFH bleibt daher abzuwarten. Wir werden an dieser Stelle über den Ausgang des Verfahrens berichten.

Fundstelle

Finanzgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 12.01.2011, 2 K 73/07 
BFH, Urteil vom 12.10.2011, I R 15/11

Weitere Fundstelle

BMF, Schreiben vom 03.04.2006, IV B 6 - S 1301 FRA - 26/06, BStBl I 2006, S. 304

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Peter Mosbach I Düsseldorf

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