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23.12.2022
Steuerrecht

BFH: Abkommensrechtliche Dreieckskonstellationen

Wir leben im Zeitalter der Globalisierung und des zunehmenden wirtschaftlichen Austauschs und der damit einhergehenden Mobilität der Arbeitskraft. Infolgedessen treten immer öfter steuerliche Dreieckskonstellationen auf, in denen sich der Hauptwohnsitz, ein notwendiger Zweitwohnsitz und die Arbeitsstätte in drei verschiedenen Staaten befinden können. Bei solchen grenzüberschreitenden Dreieckskonstellationen ist das Besteuerungsrecht Deutschlands oft strittig. Der BFH hat sich in diesem Zusammenhang aktuell ​mit der Frage auseinandergesetzt, in welchem Verhältnis die von den betroffenen Staaten abgeschlossenen und verschiedenen Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) zueinanderstehen und Lösungsansätze für die Besteuerungspraxis bei Sachverhalten mit mehr als zwei beteiligten Ländern und widersprüchlichen DBAs aufgezeigt.

Sachverhalt

In dem zu entscheidenden Fall war der Kläger sowohl in Deutschland als auch in Frankreich nach nationalem Recht unbeschränkt steuerpflichtig. Er war zudem in der Schweiz beschäftigt und erzielte dort steuerpflichtige Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit. Um diese Tätigkeit ausüben zu können, unterhielt er eine Zweitwohnung in Frankreich, von der aus er arbeitstäglich zu seiner wenige Kilometer entfernten Arbeitsstätte in der Schweiz pendelte. Der Kläger versteuerte seinen Arbeitslohn in Frankreich, weil die Schweiz aufgrund einer Grenzgängerregelung im DBA Frankreich/Schweiz hierauf keine Steuern erhob. Im Rahmen seiner deutschen Einkommensteuererklärung berief sich der Kläger auf die Freistellung des schweizerischen Arbeitslohns nach dem DBA Deutschland/Schweiz. Streitig war die Besteuerung dieses Arbeitslohns in Deutschland. Denn das Finanzamt bezog diese Einkünfte in die Bemessungsgrundlage bei der Einkommensteuerfestsetzung ein. In der Konsequenz kam es zu einer Doppelbesteuerung der Einkünfte: Zum einen in Frankreich (aufgrund der Grenzgängerregelung des DBA-Frankreich/Schweiz) und zum anderen in Deutschland.

Widersprüchlichkeit des Nebeneinanders mehrerer DBAs​

Die zwischen allen drei Staaten abgeschlossenen DBAs wiesen nach dem jeweiligen nationalen Recht​ und isoliert betrachtet jeweils unterschiedlichen Staaten das Besteuerungsrecht zu: Nach dem DBA-Deutschland/Schweiz dem Tätigkeits- und Quellenstaat Schweiz; nach dem DBA-Schweiz/Frankreich wird gemäß der sog. Grenzgängerregelung das Besteuerungsrecht Frankreich eingeräumt und nach Art. 18 DBA-Deutschland/Frankreich hat Deutschland als Ansässigkeitsstaat ein Anrecht die Drittstaateneinkünfte zu besteuern.​ ​Nach Auffassung der deutschen Finanzverwaltung galt demzufolge, dass die Nicht-Zuweisung des Besteuerungsrechts nach dem DBA Deutschland/Schweiz durch die Zuweisung des Besteuerungsrechts nach dem DBA Deutschland/Frankreich überlagert werde​.

Dem widersprach der Kläger und wandte sich nach einem erfolglos verlaufenden Einspruchsverfahren an das FG. Das FG Münster entschied zu Gunsten des Klägers (vgl. FG Münster, Urteil vom 13.07.2018, Az. 1 K 42/18 E, Entscheidungen der Finanzgerichte 2018, 1663) und konstatierte​, dass der Arbeitslohn nach dem DBA-Schweiz von der deutschen Besteuerung freizustellen und lediglich dem Progressionsvorbehalt zu unterwerfen sei. Im Fall einer Doppelansässigkeit stehe Deutschland zwar ​nach dem DBA-Frankreich das Besteuerungsrecht am Arbeitslohn aus der Schweiz (Drittstaateneinkünfte) zu, allerdings komme dieser Regelung keine abkommensübergreifende Wirkung zu. Sie betrifft nur die Vertragsstaaten des jeweiligen bilateralen DBA (hier Deutschland und Frankreich). Wegen der Dreieckskonstellation dürfe dieses Besteuerungsrecht nicht ohne Rücksicht auf das DBA-Schweiz ausgeübt werden.

Entscheidung des BFH: Das DBA-Schweiz hat Vorrang

Der BFH hat sich der Entscheidung der Vorinstanz angeschlossen und ​​konkretisierte seine Rechtsprechung bezüglich der steuerlichen Beurteilung von abkommensrechtlichen Dreieckssachverhalten.

Der Kläger und seine Ehefrau sind aufgrund ihres inländischen Wohnsitzes unbeschränkt einkommensteuerpflichtig (§ 1 Abs. 1 Satz 1 EstG i.V.m. § 8 AO). Folglich erzielte der Kläger aus seiner Tätigkeit als Altenpfleger grundsätzlich ​steuerpflichtige Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit i.S. des § 19 EStG. Da der Kläger seine Tätigkeit in der Schweiz ausübte, hat das FG zu Recht entschieden, dass dieser Arbeitslohn gemäß Art. 15 Abs. 1 i.V.m. Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 Buchst. d DBA-Schweiz 1971/2010 von der deutschen Besteuerung freizustellen ist und dem Progressionsvorbehalt unterliegt (§ 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG, Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 DBA-Schweiz 1971/2010).

Kein Rückfall des Besteuerungsrechts

Ein Besteuerungsrückfall nach § 50d Abs. 8 EStG scheidete in dem vorliegenden Fall aus, weil die Schweiz hinsichtlich der streitigen Einkünfte des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit auf ihr durch das DBA-Schweiz 1971/2010 zugewiesene Besteuerungsrecht verzichtet hatte und dadurch ein Ausnahmetatbestand i.S.d. § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG vorlag. Das grundsätzlich gegebene Besteuerungsrecht der Schweiz entfiel, weil die Grenzgängerregelung nach dem DBA-Schweiz/Frankreich das Besteuerungsrecht für den Arbeitslohn des Klägers Frankreich zuwies. ​Der BFH stellte hierzu erstmalig klar, dass die Nicht-Besteuerung von Einkünften wegen den Regelungen eines (anderen) DBA einen Steuerverzicht i.S.d. § 50d Abs. 8 EStG darstellt und kein Besteuerungsrecht Deutschlands begründet.

Die Voraussetzungen des § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 EStG waren ebenfalls nicht erfüllt, so der BFH​​. Denn die Nichtbesteuerung in der Schweiz war keine Folge der Anwendung und Auslegung des DBA-Schweiz 1971/2010 durch die Schweiz, sondern der Zuweisung des Besteuerungsrechts durch die Grenzpendlerregelung des DBA-Schweiz/Frankreich. Die Einkünfte eines unbeschränkt Steuerpflichtigen können zwar grundsätzlich der inländischen Steuerpflicht zugeführt werden, auch wenn diese nach einem DBA von der deutschen Besteuerung auszunehmen sind, diese Einkünfte aber in einem anderen Staat "nur deshalb" nicht steuerpflichtig sind, weil die Person in diesem Staat nicht unbeschränkt steuerpflichtig ist. Diese Voraussetzung fehlt allerdings im Streitfall. Denn die Besteuerung in der Schweiz entfiel nicht allein deshalb, weil der Kläger in der Schweiz nicht unbeschränkt steuerpflichtig war. Vielmehr unterlag der Arbeitslohn sowohl bei unbeschränkter als auch bei beschränkter Steuerpflicht grundsätzlich der schweizerischen Besteuerung. Diese Besteuerung wurde lediglich durch die Grenzgängerregelung des DBA-Schweiz/Frankreich ausgeschlossen.  

Keine Aufhebung des DBA-Schweiz durch das DBA-Frankreich

Entgegen der Auffassung des Finanzamts bleibe die Verpflichtung Deutschlands zur Freistellung bestimmter Einkünfte aufgrund eines DBA in einer Dreieckskonstellation auch dann bestehen, wenn ein mit einem weiteren Staat bestehendes DBA das Besteuerungsrecht für die betreffenden Einkünfte (Drittstaateneinkünfte) wiederum Deutschland zuweist. Soweit es sich um ein- und dieselben Einkünfte handelt, kann die Freistellung nach einem DBA nicht durch die abweichende Zuweisung des Besteuerungsrechts in einem anderen Abkommen aufgehoben werden, erläuterte das Gericht. Im konkreten Fall kann das deutsche DBA mit Frankreich die Steuerfreistellung nach dem DBA mit der Schweiz nicht aufheben. Der Ansicht des Finanzamtes, dass die Zuteilung des Besteuerungsrechts aufgrund des DBA Deutschland/Frankreich auf andere Staaten erstreckende „abkommensübergreifende“ Wirkung entfalte, stimmte der BFH nicht zu. Die DBA-Regelungen zur Abkommensberechtigung doppelt ansässiger Personen betreffen stets nur die Vertragsstaaten des jeweiligen bilateralen DBA. Eine sich auf andere Staaten erstreckende "abkommensübergreifende" Wirkung kommt diesen Normen nicht zu. Dies habe das FG korrekt festgestellt führte der BFH weiter aus. Die Verteilungsnormen der jeweiligen DBA stehen daher grundsätzlich gleichberechtigt nebeneinander und sind jeweils autonom und unabhängig voneinander auszulegen, so der BFH. Dabei ​Die Verteilungsnormen der jeweiligen DBA stehen grundsätzlich gleichberechtigt nebeneinander und sind jeweils autonom und unabhängig voneinander auszulegeDie Verteilungsnormen der jeweiligen DBA stehen grundsätzlich gleichberechtigt nebeneinander und sind jeweils Die Vertesteht dem Ausschluss des deutschen Besteuerungsrechts nicht entgegen, dass ein anderes DBA Deutschland ein Besteuerungsrecht zuweise. Aus der Sicht eines Steuerpflichtigen reicht es daher aus, wenn er nach einem der von Deutschland abgeschlossenen DBAs die Voraussetzungen einer Freistellung der Einkünfte von der inländischen Besteuerung erfüllt. Der BFH resümierte daraus, dass sich der Steuerpflichtige grundsätzlich auf jede Begünstigung berufen kann, die ihm ein DBA gewährt.  

Fazit

​Nach den Feststellungen des BFH gibt es keine abkommensübergreifende Wirkung von einem DBA auf die Prüfung und Anwendung eines anderen DBA. Es liegt am Gesetzgeber eine etwaige Nichtbesteuerung von Einkünften durch eindeutige nationale Vorschriften oder durch abkommensrechtliche Vereinbarungen, wie z.B. subject-to-tax Klauseln, zu verhindern.

In den Fällen, in denen die Finanzverwaltung eine abkommensrechtliche Freistellung von Einkünften aufgrund der Regelung in einem anderen DBA verweigert, sollte Rechtsbehelf eingelegt und auf die Entscheidung des BFH verwiesen werden. 

Betroffene Normen

​§ 50d Abs. 8 EStG, § 50d Abs. 9 EStG, DBA Frankreich Art. 2 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b, DBA Frankreich Art. 13, DBA Frankreich Art. 18, DBA Schweiz Art. 15 Abs. 1, DBA Schweiz Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. d

Streitjahr ​2012 / 2013

Vorinstanz

​FG Münster, Urteil vom 13.07.2018, Az. 1 K 42/18 E, Entscheidungen der Finanzgerichte 2018, 1663

Fundstelle

BFH: Abkommensrechtliche Dreieckskonstellationen​, Urteil vom 01.06.2022, I R 30/18

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