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29.05.2012
Steuerrecht

BFH: Rückfallklauseln bei Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit (sog. „treaty override“)

Mit unserem Beitrag im ias-forum 4/2005 hatten wir Sie bereits ausführlich über die in § 50d Abs. 8 EStG verankerte Rückfallklausel bei Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit informiert. § 50d Abs. 8 EStG regelt, dass die nach einem Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) vereinbarte Freistellung von Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit im Falle einer unbeschränkten Steuerpflicht nur dann gewährt wird, wenn nachgewiesen wird, dass

   - die auf diese Einkünfte im anderen Staat festgesetzten Steuern entrichtet wurden, oder
   - der andere Staat auf sein Besteuerungsrecht verzichtet hat.

In 2007 wurde mit den Regelungen des § 50d Abs. 9 EStG eine weitere nationale Rückfallklausel für unbeschränkt Steuerpflichtige eingeführt, die nicht nur auf Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, sondern vielmehr auf sämtliche Einkunftsarten Anwendung findet. Nach dieser Regelung sind die nach einem DBA steuerfreien Einkünfte - ungeachtet der abkommensrechtlichen Regelungen - nur dann von der Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer auszunehmen, wenn

   - der andere Staat die Bestimmungen des Abkommens so anwendet, dass die Einkünfte in diesem Staat von der Besteuerung auszunehmen sind oder nur zu einem durch das Abkommen begrenzten Steuersatz besteuert werden können (§ 50d Abs. 9 S. 1 Nr. 1 EStG; sogenannter „Qualifikationskonflikt“), oder
   - die Einkünfte in dem anderen Staat nur deshalb nicht steuerpflichtig sind, weil sie von einer Person bezogen werden, die in diesem anderen Staat, beispielsweise mangels Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt, nicht unbeschränkt steuerpflichtig ist (§ 50d Abs. 9 S. 1 Nr. 2 EStG).

Der Bundesfinanzhof hatte nunmehr mit Urteil vom 11.01.2012 darüber zu entscheiden, in welchem Verhältnis die nationalen Rückfallklauseln des § 50d Abs. 8 und Abs. 9 S. 1 Nr. 2 EStG zueinander stehen. Darüber hinaus hat der BFH mit Beschluss vom 10.01.2012 dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) die Frage vorgelegt, ob die Rückfallklausel des § 50d Abs. 8 EStG gegen Verfassungsrecht verstößt.

Urteil des BFH zum Verhältnis zwischen den Rückfallklauseln nach § 50d Abs. 8 und Abs. 9 S. 1 Nr. 2 EStG
Arbeitslohn, den ein in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtiger und im internationalen Flugverkehr tätiger Pilot von seinem irischen Arbeitgeber bezieht, ist nach den Regelungen des DBA-Irlands von der deutschen Besteuerung auszunehmen.

Irland wendet dieses (abkommensrechtliche) Besteuerungsrecht jedoch nicht an, sofern der im internationalen Flugverkehr tätige Pilot in Irland mangels Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt nicht der unbeschränkten Steuerpflicht unterliegt. Hintergrund ist, dass die betreffenden Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit von Flugpersonal nach nationalem, irischen Steuerrecht nicht zu einer beschränkten Steuerpflicht führen.

Es kann daher nachgewiesen werden, dass ein Verzicht des Besteuerungsrechtes des anderen Vertragsstaates (hier: Irland) vorliegt. Die Rückfallklausel des § 50d Abs. 8 EStG findet somit keine Anwendung.

Der BFH hatte in seinem Urteil vom 11.01.2012 nunmehr darüber zu entscheiden, ob in derartigen Konstellationen ggf. ein Rückfall des Besteuerungsrechtes nach § 50d Abs. 9 S. 1 Nr. 2 EStG greift. Dies hat der BFH jedoch verneint, da die Vorschrift des § 50d Abs. 8 EStG als speziellere Vorschrift Vorrang vor § 50d Abs. 9 S. 1 Nr. 2 EStG hat. § 50d Abs. 9 S. 1 Nr. 2 EStG läuft demnach bei Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit weitestgehend ins Leere.

Deutschland hat jedoch die Möglichkeit, ein Rückfall des Besteuerungsrechts im Abkommen selbst zu verankern. Von dieser Möglichkeit wurde im neu verhandelten und derzeit noch nicht in Kraft getretenen DBA-Irland vom 30.11.2011 Gebrauch gemacht.

BVerfG-Vorlage zur Verfassungswidrigkeit des § 50d Abs. 8 EStG
Der BFH hat dem BVerfG mit Beschluss vom 10.01.2012 die Frage vorgelegt, ob der Gesetzgeber durch die Regelung des § 50d Abs. 8 EStG gegen Verfassungsrecht verstößt. Das Gesetz setzt sich mit § 50d Abs. 8 EStG über die völkerrechtlich vereinbarte Freistellung von Arbeitslohn hinweg. Nach Ansicht des BFH steht dies nicht im Einklang mit der verfassungsmäßigen Ordnung und dem Gleichheitssatz. Die früher auch vom BVerfG vertretene Rechtsauffassung, wonach es dem Gesetzgeber im Rahmen der nationalen Gesetzgebung unbenommen bleibt, völkerrechtliche Vereinbarungen zu überschreiben (sog. „treaty override“) sei aufgrund der zwischenzeitlich gewandelten Sichtweise des BVerfG nicht mehr haltbar. Die Tatsache, dass Einkünfte ggf. in beiden Vertragsstaaten unbesteuert bleiben (sog. „weiße Einkünfte“), ist laut BFH nicht als Rechtfertigungsgrund für nationale Rückfallklauseln anzuerkennen. Ferner sieht der BFH Gleichheitsverstöße darin, dass der betreffende Arbeitnehmer - ohne Berücksichtigung der abkommensrechtlichen Regelungen - analog zu einem Arbeitnehmer, der im Inland beschäftigt ist, besteuert wird, sowie darin, dass eine Ungleichbehandlung von Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit im Vergleich zu anderen Einkunftsarten vorliegt.

Wenngleich das Normenkontrollersuchen nur die Vorschrift des § 50d Abs. 8 EStG betrifft, sind doch zumindest mittelbar eine Vielzahl derartiger Regelungen auf dem Prüfstand des BVerfG. Grund hierfür ist, dass der Gesetzgeber zur Verhinderung einer sogenannten „Keinmalbesteuerung“ von Einkünften in erheblichem Ausmaße auf nationale Rückfallklauseln zurückgegriffen hat. Erst in letzter Zeit geht Deutschland - wie beispielsweise im o.a. neu verhandelten DBA-Irland - verstärkt dazu über, entsprechende Klauseln zum Rückfall des Besteuerungsrechts in den jeweiligen Abkommen selbst zu verankern, um eine Verletzung des Völkerrechts zu vermeiden.

Wir werden Sie an dieser Stelle über den Ausgang des Verfahrens informieren.

Fundstelle

BFH, Urteil vom 11.01.2012, I R 27/11, Zusammenfassung in den Deloitte Tax-News
BFH, Beschluss vom 10.01.2012, I R 66/09, Zusammenfassung in den Deloitte Tax-News

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Peter Mosbach I Düsseldorf

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