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12.12.2013
Unternehmensrecht

Zur Bestimmung des auf ein Arbeitsverhältnis anzuwendenden Rechts bei Arbeitsort im Ausland

Auf den Arbeitsvertrag eines Arbeitnehmers kann - soweit keine ausdrückliche Rechtswahl vereinbart wurde - deutsches Recht auch dann anwendbar sein, wenn der Mitarbeiter seit Jahren dauerhaft in einem ausländischen Betrieb des deutschen Arbeitgebers beschäftigt ist. Maßgeblich ist, dass sich aus den Gesamtumständen eine engere Verbindung zu Deutschland ergibt.

Sachverhalt

Die Klägerin war bei der Beklagten, einem deutschen Drogeriehändler, seit 1979 beschäftigt. Nachdem sie bis 1994 in Deutschland tätig war, arbeitete die Klägerin seit 1994 als Geschäftsleiterin in den Niederlanden. Die Klägerin blieb während des gesamten Zeitraums in Deutschland wohnen und entrichtete dort Sozialbeiträge. Der Arbeitsvertrag enthielt keine ausdrückliche Regelung zur Rechtswahl. Im Jahre 2006 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass ihr Arbeitsplatz in den Niederlanden ersatzlos wegfalle und wies sie an, ab sofort in Deutschland zu unveränderten Vertragsbedingungen tätig zu sein. Die Klägerin klagte vor den niederländischen Gerichten, um die Anwendbarkeit des niederländischen Rechts auf ihren Arbeitsvertrag zu erreichen.

Das zuständige Kassationsgericht in den Niederlanden, der Hoge Raad, hat in diesem Zusammenhang schließlich dem EuGH im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens eine Frage zur Auslegung vorgelegt. Es sollte geklärt werden, ob Artikels 6 Absatz 2 des vorliegend anzuwendenden Übereinkommens von Rom über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (EVÜ) dahin auszulegen ist, dass auch dann, wenn ein Arbeitnehmer dauerhaft und ununterbrochen in ein- und demselben Staat arbeitet, das nationale Gericht das Recht des Landes der gewöhnlichen Arbeitsverrichtung ausschließen kann, wenn sich aus der Gesamtheit der Umstände ergibt, dass eine engere Verbindung zwischen dem Vertrag und einem anderen Land (hier Deutschland) besteht.
 

Entscheidung

Der EuGH entschied, dass im vorliegenden Fall letztlich deutsches Recht anwendbar sei. Zwar sei zunächst der gewöhnliche Tätigkeitsort maßgeblich, so dass grundsätzlich auch das Recht dieses Ortes anzuwenden sei. Dies waren in dem zu entscheidenden Fall die Niederlande, so dass auf das Arbeitsverhältnis grundsätzlich niederländisches Recht Anwendung finde.

Allerdings sei aus Gründen des Arbeitnehmerschutzes eine Abweichung von der Anwendung des Rechts des gewöhnlichen Tätigkeitsortes dann möglich, wenn, wie im vorliegenden Fall, zu dem anderen Staat aufgrund der Gesamtheit der Umstände eine engere Verknüpfung bestehe. In diesem Fall sei nicht mehr das Recht des Staates in dem gearbeitet wird maßgeblich, sondern das Recht des Staates mit der engeren Verknüpfung.

Der EuGH führte insoweit aus, dass die Bestimmung des Artikels 6 Absatz 2 EVÜ weit auszulegen sei. Für die Bestimmung des anzuwendenden Rechts sei vorliegend entscheidend, dass der Arbeitgeber eine deutsche juristische Person war, dass das Gehalt (vor der Einführung des Euro) in DM gezahlt worden sei, dass die Altersrentenversicherung bei einer deutschen Versicherung abgeschlossen sei, dass die Klägerin ihren Wohnsitz in Deutschland behalten und dort ihre Sozialbeiträge entrichtet habe, dass der Arbeitsvertrag auf zwingende Bestimmungen des deutschen Rechts verweise und dass der Arbeitgeber die Fahrtkosten der Klägerin von Deutschland aus in die Niederlande erstattet habe.
 

Betroffene Normen
Artikel 6 des Übereinkommens über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht;
Artikel 8 Rom-I-Verordnung (VO (EG) Nr. 593/2008) vom 17.06.2008

Anmerkungen
Bislang haben die jeweiligen Gerichte bei der Bestimmung des anwendbaren Arbeitsrechts stets auf den gewöhnlichen Tätigkeitsort abgestellt. Lediglich in Ausnahmefällen, wenn die Regelanknüpfung zu grob unverhältnismäßigen und unangemessenen Ergebnissen führte, sofern die Gesamtheit aller Umstände des Arbeitsverhältnisses auf die andere Rechtsordnung verwiesen, galt etwas anderes.

Wie der EuGH nunmehr jedoch entschieden hat, ist aus Gründen des Arbeitnehmerschutzes eine Abweichung von der Anwendung des Rechts des gewöhnlichen Tätigkeitsortes dann möglich, wenn zu dem anderen Staat aufgrund der Gesamtheit der Umstände eine engere Verknüpfung besteht.

In diesem Zusammenhang stellt der EuGH als Anknüpfungskriterien darauf ab, an welches Land der Arbeitnehmer Steuern und Sozialversicherungsbeiträge entrichtet und in welches nationale Renten-, Gesundheits- und Erwerbsunfähigkeitssystem er eingegliedert ist. Darüber hinaus sind die mit der Bestimmung des Gehalts sowie der (zwingenden) Arbeitsbedingungen verbundenen nationalen Regelungen im Rahmen einer Gesamtabwägung zu beachten.

Begrüßenswert an der Entscheidung ist, dass der EuGH die Auslegungsmerkmale von Artikel 6 Absatz 2 EVÜ konkretisiert. Allerdings hat die damit einhergehende noch stärkere Abkehr vom Tätigkeitsstaatsprinzip zur Folge, dass sich die Rechtsunsicherheit welches Arbeitsrecht Anwendung findet, erhöht.
Um dieser Unsicherheit entgegenzuwirken, empfiehlt es sich in der Praxis, das jeweils anzuwendende Recht ausdrücklich im Arbeitsvertrag zu vereinbaren.

Das EVÜ ist mittlerweile von der sogenannten Rom-I-Verordnung (VO (EG) Nr. 593/2008) vom 17.06.2008 abgelöst worden. Artikel 8 Absatz 2 bis 4 der Rom-I-Verordnung der für ab dem 17.12.2009 geschlossene Arbeitsverträge anwendbar ist, entspricht jedoch im Wesentlichen Artikel 6 Absatz 2 EVÜ. Vorliegend war das EVÜ heranzuziehen, da der maßgebliche Arbeitsvertrag vor dem 17.12.2009 geschlossen wurde. Die vom EuGH in dieser Entscheidung aufgestellten Anknüpfungskriterien sind auf die Rechtslage nach Artikel 8 der Rom-I-Verordnung übertragbar.

Fundstelle
EuGH, Urteil vom 12.09.2013, C-64/12
 

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