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28.06.2010
Verfahrensrecht

BGH: Verschärfung der Anforderungen an eine strafbefreiende Selbstanzeige

Sachverhalt

Bei Ermittlungen wegen der Hinterziehung von Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag für die Jahre 2001 und 2002 durch Nichtabgabe von Steuererklärungen kam es beim Angeklagten und seinem Steuerberater im Jahre 2005 zu Durchsuchungen durch die Steuerfahndung. Diese führten zu einer Ausweitung des ursprünglichen Tatverdachts auf die Jahre 1999 und 2000. Nachdem die Erweiterung des Steuerstrafverfahrens dem Angeklagten mündlich mitgeteilt wurde, übergab sein Steuerberater die bereits vorbereiteten Unterlagen für diese Veranlagungszeiträume. Die ausstehenden Steuererklärungen wurden nach Rückgabe der Unterlagen erstellt und beim Finanzamt eingereicht. Aufgrund einer tatsächlichen Verständigung wurden später Steuerbescheide erlassen und die festgesetzten Steuern nach und nach bezahlt.

Entscheidung

Nach Auffassung des BGH kann offen bleiben, ob bei diesem Sachverhalt eine wirksame Selbstanzeige vorliegt, weil einer strafbefreienden Wirkung jedenfalls die Sperrgründe des § 371 Abs. 2 Nr. 1 a und Abs. 2 Nr. 2 AO entgegenstehen. Eine Selbstanzeige kann nur vorliegen, wenn der Täter durch vollständige und richtige Angaben „reinen Tisch“ macht. Ansonsten wäre die in der Strafbefreiung liegende Privilegierung des Steuerstraftäters gegenüber anderen Straftätern nicht zu rechtfertigen. Neben fiskalischen Erwägungen honoriert die Selbstanzeige auch die Rückkehr zur Steuerehrlichkeit. Damit gibt der BGH seine bisherige Rechtsprechung auf, wonach eine Teil-Selbstanzeige wegen der einschlägigen Terminologie des § 371 Abs. 1 AO „insoweit“ zur Straffreiheit führt (BGH-Urt. v. 12.8.1987, 3 StR 10/87, NJW 1988, 1679). „Insoweit“ soll sich nicht auf die nachgeholten Angaben, sondern den Umfang der Strafbefreiung beziehen, etwa in Bezug auf mehrere Steuerdelikte oder andere Straftaten. Eine unzureichende (dolose) Teil-Selbstanzeige liegt danach vor, wenn nur die Zinseinkünfte bestimmter Konten nacherklärt und die Zinseinkünfte anderer Konten, für die keine Entdeckung befürchtet wird, verschwiegen werden. 

Einer wirksamen Selbstanzeige stand nach Auffassung des Senats jedenfalls das Erscheinen eines Amtsträgers gem. § 371 Abs. 2 Nr. 1 a AO entgegen. Der weit gefasste Wortlaut betrifft in der zweiten Alternative der Vorschrift nicht nur vom Ermittlungswillen des Amtsträgers erfasste Taten, sondern auch solche, die mit dem bisherigen Ermittlungsgegenstand in sachlichem Zusammenhang stehen. Davon betroffen sind Sachverhalte, bei denen unter Berücksichtigung des bisherigen Überprüfungsziels und der steuerlichen Gegebenheiten bei üblichem Gang des Ermittlungsverfahrens zu erwarten ist, dass sie ohnehin in eine Überprüfung einbezogen werden. Dies gilt z.B. für neue Tatvorwürfe, die sich lediglich auf weitere Besteuerungszeiträume bei identischer Steuerart und Einkunftsquelle erstrecken. Insofern werden keine neuen, bisher unbekannten Steuerquellen erschlossen. Allenfalls dann, wenn eine Aufdeckung weiterer Steuerquellen durch bereits laufende Ermittlungen auszuschließen ist, kann eine Nachmeldung noch privilegiert sein. Im Entscheidungssachverhalt war ein sachlicher Zusammenhang im genannten Sinne nicht zweifelhaft. 

Zudem war die Tat nach Auffassung des Senats – wenigstens teilweise – i.S.d. § 371 Abs. 2 Nr. 2 AO entdeckt, nachdem bei der Durchsuchung die unbeschränkte Steuerpflicht des Angeklagten für das Jahr 2000 offenbar wurde. Unabhängig von den strafprozessualen Verdachtsgraden hat die Tatentdeckung einen eigenständigen Bedeutungsgehalt. Eine Tatentdeckung liegt danach vor, wenn bei vorläufiger Tatbewertung die Wahrscheinlichkeit eines verurteilenden Erkenntnisses gegeben ist. Entgegen der einschlägigen Literatur ist dafür kein hinreichender Tatverdacht gem. §§ 170 Abs. 1, 203 StPO erforderlich. Auch muss der Täter noch nicht feststehen. Für eine Sperrwirkung genügen konkrete Anhaltspunkte, die nach allgemeiner kriminalistischer Erfahrung auf ein Steuerdelikt hindeuten. Dies ist stets der Fall, wenn ein Abgleich mit den Steuererklärungen eine Verkürzung belegt. Eine Tatentdeckung ist aber auch ohne einen solchen Abgleich möglich, wenn Aussagen von Zeugen aus dem näheren Umfeld des Steuerpflichtigen vorliegen oder bei verschleierten Steuerquellen die Art und Weise der Verschleierung nach kriminalistischer Erfahrung ein signifikantes Indiz für unvollständige Angaben bildet. An die subjektive Voraussetzung, dass der Täter um die Tatentdeckung weiß oder bei verständiger Würdigung damit rechnen musste, stellt der BGH keine sonderlich hohen Anforderungen. Wegen der verbesserten Ermittlungsmöglichkeiten und einer stärkeren internationalen Kooperation wird der Sperrgrund maßgeblich durch seine objektiven Voraussetzungen bestimmt. 

Auch durch eine gestufte Selbstanzeige konnte nach Auffassung des BGH keine Straffreiheit eintreten. Zum Zeitpunkt der ersten denkbaren Berichtigungshandlung war bereits ein Amtsträger i.S.d. § 371 Abs. 2 Nr. 1 a AO erschienen. Zum notwendigen Umfang wird klargestellt, dass bei einer gestuften Selbstanzeige bereits auf der ersten Stufe alle erforderlichen Angaben über steuerlich erhebliche Sachverhalte – ggf. auf geschätzter Basis – erfolgen müssen. Die Finanzbehörde muss damit in die Lage versetzt werden, den Sachverhalt ohne langwierige Nachforschungen aufzuklären und die Steuer richtig festzusetzten. Bei erkennbar unzureichenden Angaben tritt eine Strafbefreiung selbst dann nicht ein, wenn dies von der Strafverfolgungsbehörde hingenommen wird und keine rechtlich gebotenen Nachforschungen angestellt werden. 

Abschließend weist der BGH darauf hin, dass auch in Fällen, in denen über die Wirksamkeit einer Selbstanzeige zu entscheiden ist, eine frühzeitige Einbindung der Staatsanwaltschaft erforderlich ist. Dies allerdings nur, wenn zu erwarten ist, dass die Staatsanwaltschaft das Verfahren gem. § 386 Abs. 4 Satz 2 AO an sich ziehen könnte.

Vorinstanz

LG München II, Urteil vom 23.06.2009,  Az. W5 KLs 62 19810/05.

Fundstelle

BGH-Beschluss vom 20.05.2010, 1 StR 577/09, DStR 2010, S. 773.

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