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01.10.2010
Verfahrensrecht

BFH: Widerstreitende Steuerfestsetzungen

Sachverhalt

Der Kläger war Geschäftsführer bei der A-GmbH. Das Anstellungsverhältnis wurde vorzeitig zum 31.12.1999 beendet. Der Kläger sollte am 01.01.2000 eine Abfindung von 500.000 DM erhalten. Der Kläger war an der A-GmbH beteiligt und hat im Jahr 1998 seine Beteiligung an der A-GmbH an die B-GmbH veräußert. Der Kläger hatte sich gegenüber der B-GmbH zur Rückerstattung desjenigen Teils des Kaufpreises verpflichtet, um den der von ihm erzielte Erlös einen späteren (anteiligen) Weiterveräußerungserlös der B-GmbH überstieg. Nach der Weiterveräußerung im Jahr 1999 stand der B-GmbH ein Rückerstattungsanspruch in Höhe von 500.000 DM gegen den Kläger zu. Der Kläger trat seinen Abfindungsanspruch gegen die A-GmbH an die B-GmbH ab; die Zahlung erfolgte am 21.12.1999. Der Zufluss der 500.000 DM wurde bei der B-GmbH als Betriebseinnahme der Besteuerung unterworfen; eine Berücksichtigung der Zahlung bei dem Kläger erfolgte zunächst weder für den Veranlagungszeitraum 1998 noch für den Veranlagungszeitraum 1999.

Das Finanzamt erhielt eine Kontrollmitteilung bzgl. der Abfindungszahlung, änderte den Einkommensteuerbescheid 1999 mit Bescheid vom 16.03.2005 aber aus anderen Gründen. Erst mit Bescheid vom 16.12.2005 änderte das Finanzamt den Einkommensteuerbescheid 1999 unter Berücksichtigung der Abfindung. Hiergegen legte der Kläger Einspruch ein mit der Begründung, dass nach Berücksichtigung des Abfindungsbetrags bei der Einkommensteuer des Klägers konsequenterweise in Höhe dieses Betrages der Körperschaftsteuerbescheid der B-GmbH berichtigt werden müsse. Dies habe das für die B-GmbH zuständige Finanzamt jedoch wegen Eintritts der Festsetzungsverjährung abgelehnt.

Anlässlich des beim Finanzgericht anhängigen Klageverfahrens der B-GmbH regte das Finanzgericht an, bei dem Kläger für den Veranlagungszeitraum 1998 den ihm ursprünglich zugeflossenen Veräußerungserlös aufgrund der Kaufpreiserstattung um 500.000 DM zu mindern. Der Einkommensteuerbescheid 1998 wurde daraufhin am 21.12.2006 entsprechend herabgesetzt, im Gegenzug sollte die Rücknahme des Einspruchs gegen den Bescheid 1999 erfolgen. Der Kläger nahm den Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid 1999 nicht zurück. Eine Änderung des Einkommensteuerbescheides 1999 vom 16.03.2005 sei nicht zulässig gewesen, weil es an einer Änderungsvorschrift fehle.

Entscheidung

Ist aufgrund irriger Beurteilung eines bestimmten Sachverhalts ein Steuerbescheid ergangen, der aufgrund eines Rechtsbehelfs oder sonst auf Antrag des Steuerpflichtigen zu seinen Gunsten aufgehoben oder geändert wird, so können nach § 174 Abs. 4 Satz 1 AO (widerstreitende Steuerfestsetzungen) aus dem Sachverhalt nachträglich durch Erlass oder Änderung eines Steuerbescheids die richtigen steuerlichen Folgerungen gezogen werden. Die Finanzbehörde soll die Möglichkeit erhalten, in bestimmten Fällen der materiellen Richtigkeit Vorrang einzuräumen, indem vermieden wird, dass Steuerfestsetzungen bestehen bleiben, die inhaltlich zueinander im Widerspruch stehen. Die Vorschrift setzt hinsichtlich der verfahrensmäßigen Abfolge voraus, dass ein angefochtener Bescheid als irrig erkannt und deswegen auf Antrag des Steuerpflichtigen zu seinen Gunsten aufgehoben oder geändert wird. Dies löst sodann --"nachträglich"-- die Rechtsfolge des § 174 Abs. 4 AO aus, nämlich dass ein anderer Bescheid erlassen oder geändert werden kann. Die Vorschrift zieht somit die verfahrensrechtliche Konsequenz daraus, dass der andere Bescheid nunmehr eine "widerstreitende Steuerfestsetzung" enthält, wie sie das Gesetz nach seiner amtlichen Überschrift zu § 174 AO voraussetzt.

Diese Möglichkeit, einen bestandskräftigen Steuerbescheid nachträglich zu ändern, findet ihre Rechtfertigung im fehlenden schutzwürdigen Vertrauen des Steuerpflichtigen. Derjenige, der erfolgreich für seine Rechtsansicht gestritten hat, muss auch die damit verbundenen Nachteile hinnehmen. Der Steuerpflichtige ist allerdings nur dann nicht schutzwürdig, wenn er die Aufhebung oder Änderung des vorangegangenen Steuerbescheides selbst herbeigeführt hat. § 174 Abs. 4 Satz 1 AO lässt deshalb --anders als § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO-- die Zustimmung des Steuerpflichtigen nicht genügen, sondern verlangt --unter Gleichsetzung von Antrag und Rechtsbehelf--, dass die Änderung gerade auf Grund einer vom Steuerpflichtigen ausgehenden Initiative erfolgt. Die auf den Grundsatz von Treu und Glauben gestützte Durchbrechung des Vertrauensschutzes ist aber dann nicht mehr gerechtfertigt, wenn der Rechtsbehelf oder Antrag des Steuerpflichtigen den letztlich geänderten Bescheid nicht zum Gegenstand hatte. Der Steuerpflichtige muss vielmehr spezifisch die Änderung des vorausgegangenen Bescheides veranlasst haben. Die bloße Hinnahme einer allein von der Finanzverwaltung ausgehenden Änderung reicht vor dem Hintergrund des eindeutigen Wortlauts und der Systematik der Änderungsvorschriften der Abgabenordnung nicht aus.

Der Einkommensteuerbescheid 1999 vom 16.03.2005 konnte nicht nach § 174 Abs. 4 AO geändert werden. Der Kläger hat sich zu keinem Zeitpunkt, auch nicht konkludent, gegen die Festsetzung der Einkommensteuer für 1998 gewandt. Einspruch hat er lediglich gegen den Einkommensteuerbescheid 1999 vom 16.12.2005 eingelegt und diesen damit begründet, dass die steuerliche Erfassung der Abfindung bei seinen Einkünften dazu führen müsse, dass der Betrag nicht mehr bei der B-GmbH besteuert werden dürfe; einen Bezug zu der gegen ihn festgesetzten Einkommensteuer für 1998 hat er nicht hergestellt. Für einen Antrag auf Änderung des Einkommensteuerbescheides 1998 fehlt danach jeder Anhalt. Die Änderung dieses Bescheides erfolgte vielmehr auf ein Angebot des Finanzamtes hin. Damit hat der Kläger gerade nicht selbst die Ursache für die Abänderung des auf einer irrigen Beurteilung beruhenden ersten Bescheids gesetzt, die die nachträgliche Abänderung des Einkommensteuerbescheides für 1999 rechtfertigen würde.

Betroffene Norm

§ 174 Abs. 4 AO, Streitjahr 1999

Vorinstanz

Finanzgericht Hamburg, Entscheidung vom 16.06.2009, 2 K 177/08

Fundstelle

BFH, Urteil vom 11.05.2010, IX R 25/09

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