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03.08.2012
Verfahrensrecht

BFH: Sanierungserlass und Festsetzung des Gewerbesteuermessbetrags

Das Finanzamt ist nicht dafür zuständig, einen Gewerbesteuermessbetrag aus sachlichen Billigkeitsgründen im Hinblick auf den Sanierungserlass abweichend festzusetzen. Der Sanierungserlass ist weder eine allgemeine Verwaltungsvorschrift der Bundesregierung noch eine allgemeine Verwaltungsvorschrift einer obersten Landesfinanzbehörde. Mangels abweichender Vorschrift ist somit für Stundung und Erlass der Gewerbesteuer allein die Gemeinde zuständig.

Sachverhalt
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) beantragte für das Streitjahr 2003 mehrfach eine abweichende Festsetzung von Steuern aus sachlichen Billigkeitsgründen (§ 163 Satz 1 AO). Sie trug vor, in dem Gewerbeertrag für das Streitjahr sei ein Sanierungsgewinn aus dem Erlass von Bankschulden enthalten. Zum Zwecke einer Sanierung hätten verschiedene Banken auf Forderungen verzichtet. Hierdurch seien die Voraussetzungen für einen Steuererlass aus sachlichen Billigkeitsgründen nach dem Sanierungserlass erfüllt. Der Gewerbesteuermessbetrag sei daher auf 0 Euro herabzusetzen. Zu berücksichtigende vortragsfähige Fehlbeträge zur Gewerbesteuer lagen nicht vor. Das Finanzamt war zwar der Auffassung, dass ein Sanierungsgewinn i.S. des Sanierungserlasses vorliege, setzte den Gewerbesteuermessbetrag des Streitjahres aber dennoch auf 107.805 Euro fest. Die Gemeinde habe im Rahmen der Festsetzung und Erhebung der Gewerbesteuer in eigener Zuständigkeit zu prüfen, ob ein Sanierungsgewinn vorliege. Das Finanzgericht gab der dagegen erhobenen Klage statt. Das Finanzamt ging in die Revision.

Entscheidung
Die Revision des Finanzamts ist begründet. Das Finanzamt konnte vom FG nicht dazu verpflichtet werden, den Gewerbesteuermessbetrag für das Streitjahr im Billigkeitswege niedriger festzusetzen (§§ 184 Abs. 2 i.V.m. 163 AO); es ist dafür nicht zuständig.

Steuern können niedriger festgesetzt werden und einzelne Besteuerungsgrundlagen, die die Steuern erhöhen, bei der Festsetzung der Steuer unberücksichtigt bleiben, wenn die Erhebung der Steuer nach Lage des einzelnen Falls unbillig wäre (§ 163 S. 1 AO). Die Befugnis des Betriebsfinanzamtes, Realsteuermessbeträge festzusetzen, schließt auch die Befugnis zu Billigkeitsmaßnahmen ein, soweit für solche Maßnahmen in einer allgemeinen Verwaltungsvorschrift der Bundesregierung oder einer obersten Landesfinanzbehörde Richtlinien aufgestellt worden sind (§ 184 Abs. 2 S. 1 AO). Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall nicht vor.

Bei dem Sanierungserlass handelt es sich um eine allgemeine Anordnung des BMF, in der mit bindender Wirkung für die nachgeordneten Landesfinanzbehörden allgemeine Grundsätze dazu niedergelegt sind, wann ein sog. Sanierungsgewinn vorliegt und wie ein solcher ertragsteuerlich zu behandeln ist. Dadurch soll eine einheitliche Verwaltungspraxis sichergestellt werden. Eine allgemeine Verwaltungsvorschrift der Bundesregierung ist der Sanierungserlass aber nicht, denn dafür bedürfte es der Entschließung der Bundesregierung als Kollegium und einer Zustimmung des Bundesrates. Dass in H 1.5. Abs. 1 im Amtlichen Gewerbesteuer-Handbuch 2009 ausdrücklich auf den Sanierungserlass verwiesen wird, ändert daran nichts.

Bei dem Sanierungserlass handelt es sich auch nicht um eine allgemeine Verwaltungsvorschrift einer obersten Landesfinanzbehörde. Der Sanierungserlass ergeht zwar im Einvernehmen mit den obersten Finanzbehörden der Länder. Gleichwohl bleibt es dabei, dass Erlassgeber allein das BMF ist und dass dies nicht die obersten Länderfinanzbehörden sind.

Dementsprechend erübrigen sich die weiteren Überlegungen der Vorinstanz, inwieweit der Erlassgeber ausschließlich die Stundung und den Erlass nach §§ 222, 227 AO, nicht aber auch die abweichende Steuerfestsetzung gemäß §§ 163, 184 AO regeln wollte und dies auch nur bezogen auf die Gewerbesteuer, nicht aber auf den Gewerbesteuermessbetrag. Unbeantwortet bleiben können ebenso die nach wie vor umstrittenen Fragen danach, ob der Sanierungserlass den Erfordernissen des allgemeinen Gesetzesvorbehalts sowie des unionsrechtlichen Beihilfeverbots uneingeschränkt genügt.

Betroffene Norm

§ 163 AO, § 184 Abs. 2 S. 1 AO
Streitjahr 2003

Anmerkungen

BFH, Entscheidung vom 25.03.2015
Der BFH hat mit Entscheidung vom 25.03.2015 dem Großen Senat des BFH die Frage vorgelegt, ob der sogenannte Sanierungserlass (BMF-Schreiben vom 27.03.2003) mit dem Grundsatz der Gesetzesmäßigkeit der Verwaltung vereinbar ist.
Der X. Senat geht davon aus, dass der Sanierungserlass lediglich die entscheidenden Ermessenserwägungen der Finanzbehörden festschreibt und damit deren Ermessen bei Anwendung der §§ 163, 227 AO auf Null reduziert. Der I. Senat des BFH hatte im vorliegenden Urteil eine andere Ansicht vertreten.

Sog. Zollkodex-Gesetz vom 22.12.2014
Der Gesetzgeber hat im Rahmen des sog. Zollkodex-Gesetzes (BGBl. I 2014, S. 2417), auf das hier dargestellte BFH-Urteil reagiert und § 184 Abs. 2 S. 1 AO geändert. Richtlinien über Billigkeitsmaßnahmen können demnach nun auch von einer obersten Finanzbehörde aufgestellt werden. Es entspreche der langjährigen Verwaltungspraxis, dass Billigkeitsregelungen auf dem Gebiet des Einkommens- und Körperschaftsteuerrechts auch bei der Festsetzung des Gewerbesteuermessbetrages zu berücksichtigen seien (BR-Drs. 432/14, S. 35).

Finanzgericht München, Urteil vom 12.12.2007
Mit Urteil vom 12.12.2007 hat das FG München sich zur Frage, ob die Steuerbarkeit eines Sanierungsgewinns eine sachlich unbillige Härte (§§ 163, 227 AO) darstellen kann, obwohl der Gesetzgeber die Steuerbefreiung von Sanierungsgewinnen (§ 3 Nr. 66 EStG a.F.) ab dem Veranlagungszeitraum 1998 aufgehoben hat (Gesetz zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform vom 29.10.1997), geäußert. Nach Auffassung des FG verstößt das BMF-Schreiben vom 27.03.2003 gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung. Nach Abschaffung des § 3 Nr. 66 EStG sei für eine generell abstrakte Verwaltungsregelung kein Raum mehr. Der begehrte Erlass komme mangels Rechtsgrundlage nicht in Betracht.
Das Revisionsverfahren (BFH VIII R 2/08) endete ohne Sachentscheidung: Da dem Kläger im Rahmen eines Insolvenzverfahrens eine Restschuldbefreiung gewährt wurde, war die strittige Steuerschuld weggefallen. Die Beteiligten haben deshalb den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt.

Vorinstanz
Finanzgericht Düsseldorf, Urteil vom 16.03.2011, 7 K 3831/10 AO, EFG 2011, S. 1685

Fundstelle
BFH, Urteil vom 25.04.2012, I R 24/11

Weitere Fundstellen
BFH, Entscheidung vom 25.03.2015, X R 23/13, siehe Deloitte Tax-News
Finanzgericht München, Urteil vom 12.12.2007, 1 K 4487/06, EFG 2008, S. 615
BMF, Schreiben vom 27.03.2003 (Sanierungserlass), BStBl. I 2003, S. 240

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