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03.02.2012
Verfahrensrecht

BFH: Erstreckung der Haftung des Eigentümers von Gegenständen auf das Surrogat

Sachverhalt

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) hielt 75 % der Kommanditanteile an einer GmbH & Co. KG (KG). Daneben war er Gesellschafter (50 %) einer GbR, die Anlagevermögen an die KG verpachtete, u.a. zwei Grundstücke. Während des Insolvenzeröffnungsverfahrens über das Vermögen der KG verkaufte die GbR im März 2007 die beiden Grundstücke und Teile des verpachteten beweglichen Anlagevermögens. Am 01.04.2007 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der KG eröffnet. Der Eigentumsübergang der Grundstücke wurde am 20.06.2007 im Grundbuch eingetragen.

Am 21.05.2007 erließ das Finanzamt Haftungsbescheide gegen den Kläger wegen Umsatzsteuerverbindlichkeiten der KG gemäß § 74 AO. Die Haftung war gegenständlich auf genau bezeichnete Gegenstände des Anlagevermögens, u.a. die beiden Grundstücke, begrenzt, aber auf Surrogate erstreckt, soweit diese Gegenstände nicht mehr im Eigentum des Klägers oder der GbR standen. Das FG gab der gegen den Haftungsbescheid erhobenen Klage teilweise statt. Es hob diesen auf, soweit darin die Haftung auf die Gegenstände des beweglichen Anlagevermögens erstreckt war. Die Haftung sei auf die Grundstücke begrenzt, da sich nur diese zum Zeitpunkt der Haftungsinanspruchnahme im Eigentum des Klägers befunden hätten. Ein Gegenstand, der vor Erlass des Haftungsbescheids veräußert worden sei, scheide aus der Haftung nach § 74 AO aus. Eine Haftung mit den Surrogaten solcher Gegenstände sei nicht mit dem Wortlaut des § 74 AO zu vereinbaren. Hiergegen hat das Finanzamt Revision eingelegt.

Entscheidung

Entgegen der Auffassung des FG ist die im Streitfall auf § 74 AO gestützte Haftung des Klägers nicht beschränkt auf die beiden, ihm bei Erlass des Haftungsbescheids noch als Miteigentümer zur gesamten Hand gehörenden Grundstücke. Sie erstreckt sich vielmehr auch auf die von der GbR der KG überlassenen, im Haftungsbescheid bezeichneten und vor Erlass desselben aus dem Vermögen des Klägers ausgeschiedenen Gegenstände des Anlagevermögens bzw. die dafür erlangten Surrogate.

Nach § 74 AO haftet der Eigentümer der Gegenstände, die einem Unternehmen dienen, mit diesen für diejenigen Steuern des Unternehmens, bei denen sich die Steuerpflicht auf den Betrieb des Unternehmens gründet, wenn er an dem Unternehmen wesentlich beteiligt ist. Die Haftung erstreckt sich jedoch nur auf die Steuern, die während des Bestehens der wesentlichen Beteiligung entstanden sind.

In der Literatur ist die Beschränkung der Haftung auf die bei Erlass des Haftungsbescheids im Eigentum des in Anspruch Genommenen stehenden Gegenstände umstritten. Das FG Nürnberg (Urteil vom 31.05.2005) ist der Auffassung, die Haftung umfasse in den Fällen, in denen die haftenden Gegenstände zum Zeitpunkt des Haftungsbescheids nicht mehr im Eigentum des Haftenden vorhanden sind, den Wert der Gegenstände, die dem Unternehmen zum Zeitpunkt der Haftungsbegründung dienten. Denn der einmal realisierte Haftungstatbestand bleibe bestehen, auch wenn die haftenden Gegenstände zum Zeitpunkt des Haftungsbescheids nicht mehr im Eigentum des Haftenden vorhanden seien.

Mit § 74 AO hat der Gesetzgeber dem besonderen Umstand Rechnung tragen wollen, dass ein Unternehmer mit gepachteten Betriebsmitteln wirtschaftet und auf diese Weise die Beitreibung von Unternehmenssteuern mangels Zugriffsmöglichkeit auf eigenes pfändbares Vermögen des Unternehmers unterlaufen werden könnte. Vor diesem Hintergrund hat es das Bundesverfassungsgericht (Beschluss vom 14.12.1966) - letztlich für verfassungsrechtlich unbedenklich erachtet, dass der Gesetzgeber auf diese - nicht betriebseigenen - Gegenstände zurückgreift, wenn das Vermögen des Schuldners zur Befriedigung betriebsbedingter Steuerforderungen nicht ausreicht. Wenn aber die Haftung mit den dem Betrieb überlassenen Gegenständen nicht gegen Art. 14 GG verstößt, so kann nichts anderes für den Zugriff auf das Surrogat gelten. Bei einer strikt wortgetreuen Anwendung des § 74 AO wäre ein gleichmäßiger Vollzug dieser Haftungsnorm nicht zu gewährleisten: Der gut beratene bisherige Eigentümer könnte sich noch im Augenblick des Ergehens des Haftungsbescheids durch Veräußerung des Gegenstandes der Haftung - unter Erhaltung der Gegenleistung (des Surrogats) für sich selbst - entziehen.

Für den Senat ergibt sich bei Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte, dass das Haftungsobjekt des § 74 AO nicht beschränkt ist auf den (im Zeitpunkt der Haftungsinanspruchnahme noch) im Eigentum des Beteiligten stehenden Gegenstand, sondern jedenfalls ein dafür ggf. erhaltenes Surrogat (Veräußerungserlös, Schadenersatz, Tauschgegenstand o.Ä.) mit umfasst, wenn der Gegenstand in dem Zeitraum der Steuerschuldentstehung dem Unternehmen gedient hat. Damit ist dem Ausgleichsinteresse des Fiskus Rechnung getragen, dem durch das Ersetzen eigenen pfändbaren Unternehmensvermögens durch von einem Unternehmensbeteiligten gepachtete Betriebsmittel die Beitreibung von Unternehmenssteuern erschwert oder gar unmöglich gemacht wird.

Ob der Haftungszugriff in den Fällen, in denen der ursprünglich überlassene Gegenstand selbst nicht mehr vorhanden ist, beschränkt ist auf den dem Beteiligten tatsächlich zugeflossenen Ersatz oder ob der vormalige Eigentümer mit dem Wert haftet, den der Gegenstand bei Entstehung des Haftungsanspruchs hatte, kann im Streitfall offenbleiben. Das Finanzamt hat den Kläger nach den Feststellungen des FG nur auf den tatsächlichen Erlös der Gegenstände in Anspruch genommen. Offenbleiben kann auch die vom Kläger aufgeworfene Frage, ob sich die Rückführung eines für die Anschaffung des Gegenstandes aufgenommenen Kredits aus dem Verkaufserlös auf den Haftungsumfang auswirken könnte.

Betroffene Norm

§ 74 AO
Streitjahr 2007

Vorinstanz

Finanzgericht Münster, Urteil vom 02.09.2010, 5 K 4112/08 U, EFG 2011, S. 8

Fundstelle

BFH, Urteil vom 22.11.2011, VII R 63/10, BStBl II 2012, S. 223

Weitere Fundstellen

BFH, Urteil vom 22.11.2011, VII R 67/10, nicht amtlich veröffentlicht
Finanzgericht Nürnberg, Urteil vom 31.05.2005, II 143/2002, nicht veröffentlicht
BVerfG, Beschluss vom 14.12.1966, 1 BvR 496/65, BStBl III 1967, S. 166

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