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10.11.2016
Verfahrensrecht

BFH: Bindung der Verlustfeststellung an den Einkommensteuerbescheid

Berücksichtigt ein bestandskräftiger ESt-Bescheid im Verlustentstehungsjahr keinen Verlust, ist der erstmalige Erlass eines Verlustfeststellungsbescheides nur zulässig, soweit eine Korrektur des ESt-Bescheids hinsichtlich der nicht ausgeglichenen negativen Einkünfte möglich ist und diese der Steuerfestsetzung auch tatsächlich zu Grunde gelegt worden sind. Eine Besteuerungsgrundlage ist der Steuerfestsetzung nicht zu Grunde gelegt worden, soweit sie sich auf die Höhe der festgesetzten Steuer nicht ausgewirkt hat.

Sachverhalt

Gegen die Klägerin wurde mit bestandskräftig gewordenem ESt-Bescheid aus 2009 eine (positive) Einkommensteuer für das Streitjahr 2006 festgesetzt. Nach einer BP setzte das Finanzamt im Jahr 2011 eine höhere Einkommensteuer für 2006 fest. Die Klägerin legte Einspruch gegen den Änderungsbescheid aus 2011 ein und erklärte erstmals negative Einkünfte aus § 17 EStG. Außerdem begehrte sie die (erstmalige) Feststellung eines verbleibenden Verlustvortrags auf den 31.12.2006.

Daraufhin erließ das Finanzamt im Jahr 2012 erneut einen geänderten ESt-Bescheid für 2006. Die negativen Einkünfte aus § 17 EStG führten nun zwar zu einem negativen Gesamtbetrag der Einkünfte, allerdings wurde die Einkommensteuer „wegen der Anfechtungs-/Änderungsbeschränkung (§ 351 bzw. § 177 AO)“ im Tenor wieder in der ursprünglichen Höhe (ESt-Bescheid aus 2009) festgesetzt.

Auf Antrag der Klägerin trug das Finanzamt zwar den Verlust aus 2006 zum Teil in das Jahr 2005 zurück, lehnte aber die Feststellung eines verbleibenden Verlustvortrags auf den 31.12.2006 ab. Die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage blieb ohne Erfolg.

Entscheidung

Das FG habe die Feststellung eines verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer auf den 31.12.2006 zu Recht abgelehnt.

Nach § 10d Abs. 4 S. 1 EStG ist der am Schluss eines Veranlagungszeitraums verbleibende Verlustvortrag (§ 10d Abs. 4 S. 2 EStG) gesondert festzustellen. Dabei sind die Besteuerungsgrundlagen so zu berücksichtigen, wie sie den Steuerfestsetzungen des Veranlagungszeitraums, auf dessen Schluss der verbleibende Verlustvortrag festgestellt wird, und des Veranlagungszeitraums, in dem ein Verlustrücktrag vorgenommen werden kann, zu Grunde gelegt worden sind (§ 10d Abs. 4 S. 4 EStG i.d.F. des JStG 2010). Eine abweichende Berücksichtigung ist nur möglich, soweit die Aufhebung, Änderung oder Berichtigung der Steuerbescheide ausschließlich mangels Auswirkung auf die Höhe der festzusetzenden Steuer unterbleibt (§ 10d Abs. 4 S. 5 EStG). Demnach seien die Einkünfte im Feststellungsverfahren des verbleibenden Verlustvortrags nicht eigenständig zu ermitteln.

Durch die Regelung des § 10d Abs. 4 S. 4 EStG habe der ESt-Bescheid – obwohl kein Grundlagenbescheid – eine inhaltliche Bindungswirkung für den Verlustfeststellungsbescheid (vgl. BFH-Urteile vom 13.01.2015 sowie vom 10.02.2015). Diese Bindungswirkung greife gem. § 10d Abs. 4 S. 4 1. Hs. EStG allerdings nur ein, wenn die Besteuerungsgrundlagen „den Steuerfestsetzungen des Veranlagungszeitraums (...) zu Grunde gelegt worden sind“. Für die Änderung oder den Erlass eines Feststellungsbescheides müssten sich daher Besteuerungsgrundlagen nicht nur geändert haben. Diese Änderungen müssten auch zu einer Änderung der Steuerfestsetzung geführt haben.

Dass § 10d Abs. 4 S. 4 EStG eine Auswirkung der Besteuerungsgrundlage auf die Höhe der Steuerfestsetzung voraussetzt, werde gesetzessystematisch durch die Vorschrift des § 10d Abs. 4 S. 5 EStG bestätigt, die die Verlustfeststellung im Fall der fehlenden Auswirkung auf die Höhe der festzusetzenden Steuer abschließend regelt und mit der Formulierung des einschränkenden Merkmals „ausschließlich“ klarstellt, dass der Eintritt der formellen Bestandskraft des ESt-Bescheids der Verlustfeststellung entgegensteht, soweit nicht die Voraussetzungen einer Korrekturnorm gegeben sind. Dies entspreche auch der in der Begründung zum JStG 2010 geäußerten Absicht und es seien keine Gründe für eine vom Wortlaut abweichende Auslegung ersichtlich.

Werde ein ESt-Bescheid bestandskräftig und berücksichtige er – wie vorliegend – keinen Verlust, komme eine (spätere) Verlustfeststellung daher nur noch in Betracht, wenn und soweit der Steuerbescheid des Verlustentstehungsjahres nach den Vorschriften der AO änderbar ist (vgl. BFH-Urteil vom 10.02.2015). Aus der Verknüpfung von Steuerfestsetzung und Verlustfeststellung folge, dass die im Streitfall nach § 351 Abs. 1 AO (anwendbar, obwohl in § 10d Abs. 4 S. 4 2. Hs. EStG nicht erwähnt) beschränkte Anfechtbarkeit des geänderten Einkommensteuerbescheids aus 2011 auch bei der begehrten Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags nach § 10d Abs. 4 S. 4 EStG zu beachten ist.

Vorliegend war der ESt-Bescheid für 2006 aus dem Jahr 2009 bestandskräftig, eine Korrekturvorschrift zu Gunsten der Klägerin habe nicht vorgelegen. Der sich aus den nachträglich erklärten negativen Einkünften aus § 17 EStG ergebende negative Gesamtbetrag der Einkünfte sei – wegen der Einschränkungen durch § 351 Abs. 1 AO sowie dem sich aus § 177 Abs. 1 AO ergebenden Saldierungsrahmen – nicht i. S. des § 10d Abs. 4 S. 4 EStG bei der festgesetzten Einkommensteuer „zugrunde gelegt“ worden. Im Ergebnis habe die im Tenor des Bescheids aus 2012 festgesetzte ESt lediglich die mit ESt-Bescheid aus 2011 vorgenommene Erhöhung der ESt korrigiert. Auch nach Berücksichtigung des Verlustrücktrags in den Veranlagungszeitraum 2005 sei kein verbleibender Verlustvortrag festzustellen.

Schließlich komme eine von der ESt-Festsetzung abweichende Berücksichtigung der Besteuerungsgrundlagen (allein) im Verlustfeststellungsbescheid gem. § 10d Abs. 4 S. 5 EStG vorliegend nicht in Betracht. Diese scheitere daran, dass die Änderung des ESt-Bescheids für 2006 aus 2011 nicht mangels Auswirkung auf die Höhe der festzusetzenden Steuer unterblieben war, sondern weil es an einer Möglichkeit zur Änderung des bestandskräftigen ESt-Bescheids aus 2009 über den Tenor hinaus gefehlt habe.

Betroffene Norm

§ 10d Abs. 4 EStG i. d. F. des JStG 2010

Streitjahr 2006

Vorinstanz

Finanzgericht München, 01.06.2015, 10 K 650/14, EFG 2015, 1688

Fundstelle

BFH, Urteil vom 12.07.2016, IX R 31/15, BStBl II 2018 Seite 699

Weitere Fundstellen

BFH, Urteil vom 13.01.2015, IX R 22/14, BStBl. II 2015, S. 829, siehe Deloitte Tax-News (unter „Anmerkung“)

BFH, Urteil vom 10.02.2015 IX R 6/14, BFH/NV 2015, S. 812

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