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29.09.2017
Unternehmensteuer

BFH: Rechtsprechungsänderung zu nachträglichen Anschaffungskosten

Wird ein Gesellschafter als Bürge für Verbindlichkeiten der GmbH in Anspruch genommen, führt dies entgegen langjähriger BFH-Rechtsprechung nach Inkrafttreten des MoMiG nicht mehr zu nachträglichen Anschaffungskosten auf seine Beteiligung im Sinne von § 17 EStG (Rechtsprechungsänderung). Vertrauensschutz in die bisherige Rechtsprechung wird für bis zum 27.09.2017 geleistete eigenkapitalersetzende Finanzierungshilfen eines Gesellschafters gewährt.

Sachverhalt

Der Kläger hat für eine GmbH, an der zunächst sein Vater und ab 2010 er selbst zu 100% beteiligt war, bereits in 2006 selbstschuldnerische Bürgschaften übernommen. Im Streitjahr 2011 leistete der Kläger aufgrund den von ihm eingegangenen Bürgschaften Zahlungen an die Kreditinstitute. Der Kläger berücksichtigte die Aufwendungen aus der Inanspruchnahme als Bürge als nachträgliche Anschaffungskosten auf seine GmbH-Beteiligung im Sinne des § 17 EStG. Dem folgte das Finanzamt mit der Begründung nicht, dass sich die GmbH im Zeitpunkt der Bürgschaftsübernahme nicht in einer Krise befunden habe. Das FG gab dem Kläger Recht.

Entscheidung

Die Aufwendungen des Gesellschafters aus der Inanspruchnahme als Bürge für Verbindlichkeiten einer GmbH führten aufgrund der nach MoMiG geltenden Rechtslage grundsätzlich nicht mehr zu nachträglichen Anschaffungskosten auf seine Beteiligung. Allerdings bestehe ein Vertrauensschutz des Klägers in die bisherige höchstrichterliche Rechtsprechung.

Mit der Aufhebung des Eigenkapitalersatzrechts durch das MoMiG sei die gesetzliche Grundlage der bisherigen Rechtsprechung, die bestimmte Leistungen des Gesellschafters in Form eines Darlehens oder aufgrund einer übernommenen Bürgschaft als eigenkapitalersetzende Finanzierungshilfen beurteilt und nachträgliche Anschaffungskosten im Rahmen des § 17 EStG angenommen hat (vgl. u.a. BFH-Urteile vom 24.04.1997, u. 04.11.1997), weggefallen. Nachträgliche Anschaffungskosten der Beteiligung seien deshalb nur noch nach Maßgabe der handelsrechtlichen Begriffsdefinition von Anschaffungskosten gemäß § 255 HGB anzuerkennen. Folglich führten nur solche Aufwendungen des Gesellschafters, die nach handels- und bilanzsteuerrechtlichen Grundsätzen eine offene oder verdeckte Einlage in das Kapital der Gesellschaft darstellen, zu (nachträglichen) Anschaffungskosten der Beteiligung. Darunter fielen insbesondere Nachschüsse i.S. der §§ 26 ff. GmbHG, sonstige Zuzahlungen nach § 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB wie Einzahlungen in die Kapitalrücklage, Barzuschüsse oder der Verzicht auf eine noch werthaltige Forderung (vgl. Beschluss des Großen Senats des BFH vom 09.06.1997 u. BFH-Urteil vom 20.04.2005). Hingegen führten Aufwendungen aus Fremdkapitalhilfen wie der Ausfall eines vormals „krisenbedingten“, „krisenbestimmten“ oder „in der Krise stehen gelassenen“ Darlehens oder der Ausfall mit einer Bürgschaftsregressforderung grundsätzlich nicht mehr zu Anschaffungskosten der Beteiligung. Etwas anderes könne nur dann gelten, wenn die vom Gesellschafter gewährte Fremdkapitalhilfe aufgrund der vertraglichen Abrede mit der Zuführung einer Einlage in das Gesellschaftsvermögen wirtschaftlich vergleichbar sei (z.B. ein Gesellschafterdarlehen, welches aufgrund eines vereinbarten Rangrücktritts i.S. des § 5 Abs. 2a EStG im Wesentlichen denselben Voraussetzungen unterliegt wie die Rückzahlung von Eigenkapital (vgl. BFH-Urteile vom 30.11.2011, vom 15.04.2015 u. vom 10.08.2016)).

Vertrauensschutz

Aus Gründen des Vertrauensschutzes seien die neuen Rechtsprechungsgrundsätze nur mit Wirkung für die Zukunft anzuwenden (vgl. Beschluss des Großen Senats des BFH vom 17.12.2007). Die bisherigen Grundsätze zur Berücksichtigung von nachträglichen Anschaffungskosten aus eigenkapitalersetzenden Finanzierungshilfen seien weiter anzuwenden, wenn der Gesellschafter eine solche Finanzierungshilfe bis zum Tag der Veröffentlichung dieses Urteils (d.h. bis zum 27.09.2017) geleistet habe oder wenn eine Finanzierungshilfe des Gesellschafters bis zu diesem Tag eigenkapitalersetzend geworden sei.

Betroffene Norm

§ 17 EStG
Streitjahr 2011

Anmerkungen

BFH-Urteil vom 02.07.2019, IX R 13/18:

Der BFH bekräftigt in einem weiteren Urteil vom 02.07.2019 (IX R 13/18, siehe Deloitte Tax-News) seine hier dargestellte Entscheidung, nach welcher Vertrauensschutz in die bisherige Rechtsprechung für bis zum 27.09.2017 geleistete eigenkapitalersetzende Finanzierungshilfen eines Gesellschafters gewährt wird.

JStG 2019

Auf das hier dargestellte BFH-Urteil vom 11.07.2017 (IX R 36/15) hat der Gesetzgeber in seinem Beschluss zum Jahressteuergesetz 2019 vom 07.11.2019 (siehe Deloitte Tax-News) reagiert. Durch einen neuen § 17 Abs. 2a EStG werden in Anlehnung an § 255 HGB die Anschaffungskosten von Anteilen an Kapitalgesellschaften definiert. So führen künftig u.a. auch Ausfälle von Bürgschaftsregressforderungen und vergleichbaren Forderungen, soweit die Hingabe oder das Stehenlassen der betreffenden Sicherheit gesellschaftsrechtlich veranlasst war, zu nachträglichen Anschaffungskosten. Die Neuregelung ist erstmals für Veräußerungen im Sinne von § 17 Abs. 1, 4 oder 5 EStG nach dem 31.07.2019 (Datum des Kabinettbeschlusses) anzuwenden. Auf Antrag des Steuerpflichtigen kann eine Anwendung auf für frühere Veräußerungen erfolgen. 

Hintergrund

  • Rechtslage aufgrund des MoMiG:
    Das Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) vom 23.10.2008 (BGBl. I 2008, S. 2026) ist am 01.11.2008 in Kraft getreten und hat die weitgehende Gleichbehandlung der eigenkapitalersetzenden Finanzierungsleistungen mit dem nach §§ 30, 31 GmbHG gebundenen Kapital (sog. Eigenkapitalersatzrecht) aufgehoben und durch den gesetzlichen Nachrang sämtlicher Gesellschafterfinanzierungen im Insolvenzfall ersetzt. Finanzierungshilfen des Gesellschafters werden außerhalb des Insolvenzverfahrens nicht mehr wie haftendes Eigenkapital behandelt. Seit Inkrafttreten des MoMiG war umstritten und höchstrichterlich ungeklärt, welche Auswirkungen dies steuerrechtlich auf die Rechtsprechung zu nachträglichen Anschaffungskosten im Sinne von § 17 EStG hat.
  • (Bisherige) Auffassung der Finanzverwaltung:
    Die Finanzverwaltung hat bislang die Grundsätze der bisherigen Rechtsprechung auch für Fälle nach Inkrafttreten des MoMiG weiter angewendet (vgl. BMF-Schreiben vom 21.10.2010).

Einordnung des oben dargestellten Urteils

  • Mit dem oben dargestellten Urteil gibt der BFH seine zur alten Rechtslage vor MoMiG ergangene, langjährige Rechtsprechung hinsichtlich eigenkapitalersetzenden Finanzierungshilfen auf. Es liegt eine Rechtsprechungsänderung vor, die große Auswirkung auf die Finanzierung von Kapitalgesellschaften durch Gesellschafterdarlehen und die Absicherung von Darlehen durch Bürgschaften des Gesellschafters haben wird.
  • Hervorzuheben ist, dass jetzt erstmals auch ein Fachsenat des BFH aus Gründen des Vertrauensschutzes eine zeitliche Anwendungsregelung für ein Urteil getroffen hat.

BFH-Urteile vom 11.10.2017, IX R 29/16 und IX R 51/15

Auch in den Revisionsverfahren IX R 29/16 und IX R 51/15 hat der BFH jeweils in Anwendung seiner hier dargestellten Urteilsgrundsätze mit Urteilen vom 11.10.2017 entschieden. Beide Urteile sind derzeit ebenfalls nicht zur amtlichen Veröffentlichung vorgesehen.

LfSt Niedersachsen, Verfügung vom 13.03.2018

Das Landesamt für Steuern Niedersachsen teilt in seiner Verfügung vom 13.01.2018 mit, dass aufgrund der Rechtsprechungsänderung des BFH Abstimmungen auf Ebene der obersten Finanzbehörden des Bundes und der Länder erforderlich seien, die derzeit noch andauern und deren Ergebnisse daher weiterhin abzuwarten seien. Bis auf Weiteres sollen Fälle, in denen nachträgliche Anschaffungskosten im Zusammenhang mit eigenkapitalersetzenden Finanzierungshilfen i. R. d. Veräußerungsgewinnermittlung des § 17 Abs. 2 EStG geltend gemacht werden, daher weiterhin nicht abschließend bearbeitet werden.

Das LfSt weist darauf hin, dass derzeit beim BFH noch Revisionsverfahren anhängig sind, die u. a. die Frage zum Gegenstand haben, ob und in welchem Umfang Finanzierungshilfen zu nachträglichen Anschaffungskosten i. S. d. § 17 EStG in der Folge der Aufhebung von § 32a GmbHG a. F. durch das MoMiG führen (IX R 5/15, IX R 6/15 und IX R 7/15). Diesbezügliche Einsprüche ruhen weiterhin kraft Gesetzes, § 363 Abs. 2 S. 2 AO. Im Revisionsverfahren IX R 5/15 hat der BFH mit Beschluss vom 11.10.2017, BStBl II 2018, S. 18) eine Beitrittsaufforderung an BMF gestellt.

Vorinstanz

Finanzgericht Düsseldorf, Urteil vom 10.03.2015, 9 K 962/14 E, EFG 2015, 1271, siehe Deloitte Tax News

Fundstellen

BFH, Urteil vom 11.07.2017, IX R 36/15, BStBl. II 2019, S. 208

Pressemitteilung Nr. 60 vom 27.09.2017

siehe auch

BFH, Urteil vom 10.12.2019, IX R 1/19, BFH/NV 2020, S. 504

Weitere Fundstellen

BFH, Urteil vom 02.07.2019, IX R 13/18, siehe Deloitte Tax-News

LfSt Niedersachsen, Verfügung vom 13.03.2018

BFH, Urteil vom 11.10.2017, IX R 29/16

BFH, Urteil vom 11.10.2017, IX R 51/15

BFH, Urteil vom 24.04.1997, VIII R 23/93, BStBl. II 1999, S. 342

BFH, Urteil vom 04.11.1997, VIII R 18/94, BStBl. II 1999, S. 344

BFH, Beschluss des Großen Senats vom 09.06.1997, GrS 1/94, BStBl. II 1998, S. 307

BFH, Urteil vom 20.04.2005, X R 2/03, BStBl. II 2005, S. 694

BFH, Urteil vom 30.11.2011, I R 100/10, BStBl. II 2012, S. 332, siehe Deloitte Tax News 

BFH, Urteil vom 15.04.2015, I R 44/14, BStBl. II 2015, S. 769, siehe Deloitte Tax News 

BFH, Urteil vom 10.08.2016, I R 25/15, BStBl. II 2017, S. 679, siehe Deloitte Tax News 

BFH, Beschluss des Großen Senats vom 17.12.2007, GrS 2/04, BStBl. II 2008, S. 608

BMF, Schreiben vom 21.10.2010, BStBl. I 2010, S. 832

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