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07.09.2012
Private Einkommensteuer

BFH: Nachträgliche Schuldzinsen bei Einkünften aus VuV

Das BMF hat mit Schreiben vom 15.01.2014 die Grundsätze des BFH-Urteils vom 20.06.2012 übernommen und seine bisherige, weite Auffassung zur Zulässigkeit des Abzugs nachträglicher Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung eingeschränkt, mehr siehe unter Anmerkung.
BMF, Schreiben vom 15.01.2014
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Schuldzinsen für ein Darlehen, das ursprünglich zur Finanzierung einer zur Vermietung bestimmten Immobilie aufgenommen wurde, können auch dann noch als nachträgliche Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung abgezogen werden, wenn das Gebäude veräußert wird, der Veräußerungserlös aber nicht ausreicht, um die Darlehensverbindlichkeit zu tilgen. Der BFH hält nicht länger an seiner bisherigen restriktiveren Rechtsprechung fest. Da die Frist zur steuerlichen Erfassung von Wertsteigerungen bei der Veräußerung von im Privatvermögen gehaltenen Grundstücken auf 10 Jahre erweitert wurde, sei es folgerichtig, den nachträglichen Schuldzinsenabzug bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung auszuweiten und die notwendige steuerrechtliche Gleichbehandlung bei den Gewinn- und bei den Überschusseinkünften wieder herzustellen.

Sachverhalt
Der Kläger hatte 1994 ein Wohngebäude erworben, dieses vermietet und hieraus Einkünfte erzielt. Im Jahr 2001 veräußerte er das Gebäude mit Verlust. Mit dem Veräußerungserlös konnten die bei der Anschaffung des Gebäudes aufgenommenen Darlehen nicht vollständig abgelöst werden; dadurch musste der Kläger auch im Streitjahr 2004 noch Schuldzinsen auf die ursprünglich aufgenommenen Verbindlichkeiten aufwenden und machte diese in seiner Einkommensteuererklärung 2004 als Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung geltend. Das Finanzamt erkannte die „nachträglichen Schuldzinsen“ nicht als Werbungskosten an. Einspruch und Klage blieben erfolglos. 

Entscheidung
Die Revision ist begründet. Die von den Klägern geltend gemachten nachträglichen Schuldzinsen sind zu Unrecht nicht bei der Ermittlung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung berücksichtigt worden.

Schuldzinsen zählen zu den Werbungskosten, soweit sie mit einer Einkunftsart, vorliegend den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung i.S. des § 21 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EStG, im wirtschaftlichen Zusammenhang stehen (§ 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 1 S. 1 EStG). Der notwendige Veranlassungszusammenhang von Schuldzinsen mit Einkünften aus Vermietung und Verpachtung ist als gegeben anzusehen, wenn ein objektiver Zusammenhang dieser Aufwendungen mit der Überlassung eines Vermietungsobjektes zur Nutzung besteht und subjektiv die Aufwendungen zur Förderung dieser Nutzungsüberlassung gemacht werden. Mit der erstmaligen Verwendung einer Darlehensvaluta zur Anschaffung eines Vermietungsobjektes wird die maßgebliche Verbindlichkeit diesem Verwendungszweck unterstellt (vgl. BFH-Urteile vom 27.10.1998 und 29.07.1997). Nach den bisher in der Rechtsprechung vertretenen Grundsätzen besteht der Zweck jedenfalls solange fort, bis die Vermietungsabsicht aufgegeben wird und die Vermietungstätigkeit bzw. das Rechtsverhältnis im Sinne der Einkunftsart endet. Die auf das Darlehen gezahlten Schuldzinsen wurden nach Ende der Vermietungstätigkeit grundsätzlich nicht mehr als solche anerkannt - und zwar auch dann nicht, wenn der Erlös aus der Veräußerung eines zuvor zur Vermietung genutzten Grundstücks nicht ausreichte, um das ursprünglich zur Anschaffung des Grundstücks aufgenommene Darlehen abzulösen (vgl. BFH-Urteile vom 25.04.1995, 24.04.1997, 19.08.1998, 25.01.2001). An dieser Rechtsprechung hält der Senat nicht länger fest.

Mit der auf zehn Jahre erweiterten Erfassung von Wertsteigerungen bei der Veräußerung von im Privatvermögen gehaltenen Grundstücken durch § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.d.F. des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 (vgl. BT-Drs. 14/23, S. 179 f.) hat der Gesetzgeber eine Grundentscheidung dahin getroffen, dass zur Erzielung von Einkünften dienende Wohngrundstücke für den genannten Zeitraum - d.h. über einen reinen, steuerpolitisch gerechtfertigten "Spekulationszeitraum" hinaus - nicht mehr dem privaten, sondern dem steuerrechtlich erheblichen Vermögensbereich zuzuordnen sind und ein etwaiger Gewinn oder Verlust aus privaten Veräußerungsgeschäften der Besteuerung unterliegt. Vor diesem Hintergrund ist das bisher von der Rechtsprechung bemühte Argument, der Fortbestand eines den Verkaufserlös der veräußerten Einkunftsquelle übersteigenden (Rest-)Darlehens habe seine Ursache in dem im privaten Vermögensbereich erlittenen, nicht steuerbaren Veräußerungsverlust, nicht länger ergiebig. Nachträgliche Schuldzinsen können mithin auch im Bereich der Überschusseinkünfte der Finanzierung eines steuerrechtlich erheblichen Veräußerungs- oder Aufgabeverlusts dienen.

Ein ursprünglich gesetzter Veranlassungszusammenhang zwischen einem (Rest-)Darlehen, das der Finanzierung von Anschaffungskosten eines zur Erzielung von Mieteinkünften erworbenen Immobilienobjektes diente, und den (früheren) Einkünften aus Vermietung und Verpachtung besteht grundsätzlich auch dann weiter fort, wenn der Steuerpflichtige das Objekt veräußert und der Erlös aus der Veräußerung nicht ausreicht, um das ursprünglich zur Anschaffung des Grundstücks aufgenommene Darlehen abzulösen. Durch die mit der Veräußerung des Wohngrundstücks einhergehende Beendigung der Vermietungstätigkeit ist der ursprüngliche Veranlassungszusammenhang nicht unterbrochen; vielmehr sind die nachträglichen Schuldzinsen nach wie vor durch die ursprünglich zur Erzielung von Einkünften aus Vermietung und Verpachtung aufgenommenen Schulden ausgelöst.

Mit der Veräußerung des ursprünglich zur Erzielung von Mieteinkünften erworbenen Immobilienobjektes wird auch kein "neuer", den bisherigen Veranlassungszusammenhang mit Einkünften aus Vermietung und Verpachtung überlagernder oder gar ersetzender Zusammenhang mit den sonstigen Einkünften i.S. des § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EStG geschaffen. Sind die Aufwendungen im Rahmen einer steuerlich relevanten Nutzung als Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung zu werten, scheidet der Abzug als Werbungskosten bei den sonstigen Einkünften schon dem Grunde nach aus. Zum anderen erfolgt die Gewinnermittlung im Rahmen des § 23 EStG zeitpunktbezogen; eine Berücksichtigung von Schuldzinsen, die nicht innerhalb der Frist des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG angefallen sind, kommt bei den Einkünften nach § 23 EStG nicht in Betracht.

Ein Veranlassungszusammenhang von nachträglichen Schuldzinsen mit Einkünften aus Vermietung und Verpachtung ist - entsprechend der rechtlichen Behandlung nachträglicher Schuldzinsen auf Betriebsschulden nach Aufgabe oder Veräußerung des Betriebs als Betriebsausgaben (s. BFH-Urteile vom 28.03.2007 und 19.08.1998) - allerdings dann zu verneinen, wenn die Schuldzinsen auf Verbindlichkeiten entfallen, die durch den Veräußerungspreis des Immobilienobjektes hätten getilgt werden können (sog. Grundsatz des Vorrangs der Schuldentilgung). In diesem Fall beruht die Entscheidung des Steuerpflichtigen, im Veräußerungszeitpunkt noch valutierende Darlehensschulden nicht oder nicht im Rahmen der bestehenden Möglichkeiten zurückzuführen, auf einer privaten Motivation, die den ursprünglichen Veranlassungszusammenhang überlagert.

Der Senat braucht nicht zu entscheiden, in welchen darüber hinaus denkbaren Fallkonstellationen eine den ursprünglichen Veranlassungszusammenhang überlagernde private Motivation den Schluss rechtfertigen könnte, dass nachträgliche Schuldzinsen nicht mehr durch die ursprünglich zu Vermietungszwecken aufgenommenen Schulden ausgelöst sind. Jedenfalls ist in den Fällen, in denen der Steuerpflichtige - ohne seine Absicht zur Einkünfteerzielung vor der Zeit aufgegeben zu haben - das bisher der Erzielung von Einkünften aus Vermietung und Verpachtung dienende Wohngrundstück steuerbar veräußert und der Erlös aus der Veräußerung nicht ausreicht, um das ursprünglich zur Anschaffung des Grundstücks aufgenommene Darlehen abzulösen, von einem Fortbestand des Veranlassungszusammenhangs auszugehen.

Anmerkung
BMF-Schreiben vom 15.01.2014
Mit seinem Schreiben vom 15.01.2014 hat das BMF die Grundsätze des BFH-Urteils vom 20.06.2012 übernommen und seine bisherige, weite Auffassung zur Zulässigkeit des Abzugs nachträglicher Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung (BMF, Schreiben vom 03.05.2006, BStBl. I S. 363) eingeschränkt. Der Abzug nachträglicher Werbungskosten komme nur noch in Betracht, wenn der Verkaufserlös nicht ausreiche, um die Darlehensverbindlichkeit zu tilgen. Das Schreiben sei erstmals anzuwenden auf Schuldzinszahlungen, wenn der Vertrag über den Verkauf des Mietobjekts nach dem 31.12.2013 rechtswirksam abgeschlossen worden sei. Für vor dem 01.01.2014 rechtswirksam abgeschlossene Verträge bleibe das BMF-Schreiben vom 03.05.2006 weiter anwendbar.
BMF, Schreiben vom 15.01.2014, siehe Deloitte Tax-News
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BMF-Schreiben vom 27.07.2015
Mit Schreiben vom 27.07.2015 hat das BMF nun auch zur Anwendung der BFH-Urteile vom 21.01.2014 und vom 08.04.2014 Stellung genommen: Schuldzinsen, die auf Verbindlichkeiten entfallen, welche der Finanzierung von Anschaffungskosten oder Herstellungskosten einer zur Erzielung von Einkünften aus Vermietung und Verpachtung genutzten Immobilie dienten, können nach deren Veräußerung weiter als nachträgliche Werbungskosten abgezogen werden, wenn und soweit die Verbindlichkeiten nicht durch den Veräußerungserlös hätten getilgt werden können (siehe vorliegendes BFH-Urteil vom 20.06.2012). Voraussetzung ist, dass die Absicht, (weitere) Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung zu erzielen, nicht bereits vor der Veräußerung der Immobilie aus anderen Gründen weggefallen ist (BFH-Urteil vom 21.01.2014, siehe Deloitte Tax-News). Es ist für den Werbungskostenabzug unmaßgeblich, ob die Veräußerung innerhalb der zehnjährigen Veräußerungsfrist erfolgt und steuerbar ist (BFH-Urteil vom 08.04.2014, siehe Deloitte Tax-News).

Betroffene Norm
§ 21 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EStG, § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 1 S. 1 EStG, § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EStG
Streitjahr 2004

Vorinstanz
Finanzgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 01.07.2010, 13 K 136/07, EFG 2011, S. 1052

Fundstelle
BFH, Urteil vom 20.06.2012, IX R 67/10

Weitere Fundstellen 
BFH, Urteil vom 11.02.2014, IX R 42/13
BFH, Urteil vom 06.12.2005, VIII R 34/04, BStBl II 2006, S. 265
BFH, Urteil vom 21.01.2014, IX R 37/12, siehe Deloitte Tax-News
BFH, Urteil vom 08.04.2014, IX R 45/13, siehe Deloitte Tax-News
BFH, Urteile vom 27.10.1998, IX R 44/95, BStBl II 1999, S. 676
BFH, Urteil vom 29.07.1997, IX R 89/94, BStBl II 1997, S. 772
BFH, Urteile vom 25.04.1995, IX R 114/92, BFH/NV 1995, S. 966
BFH, Urteil vom 24.04.1997, VIII R 53/95, BStBl II 1997, S. 682
BFH, Urteil vom 19.08.1998, X R 96/95, BStBl II 1999, S. 353
BFH, Urteil vom 25.01.2001, IX R 27/97, BStBl II 2001, S. 573 

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