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22.12.2017
Internationales Steuerrecht

EuGH: § 50d Abs. 3 EStG verstößt gegen EU-Recht

Der EuGH hat in den beiden verbundenen Verfahren C 504/16 (Deister Holding) und C 613/16 (Juhler Holding) bestätigt, dass die deutsche Missbrauchsvorschrift in § 50d Abs. 3 EStG (2007) sowohl gegen die Mutter-Tochter-Richtlinie als auch gegen die Niederlassungsfreiheit verstößt. Das Urteil wird aber auch Auswirkungen auf die seit 2012 geltende Regelung haben (anhängig beim EuGH unter C-440/17).

Sachverhalt der Ausgangsverfahren

 In beiden Verfahren vor dem FG Köln beantragte eine in einem EU-Mitgliedstaat ansässige Kapitalgesellschaft die Erstattung von deutscher Kapitalertragsteuer, die aufgrund von Gewinnausschüttungen ihrer in Deutschland ansässigen Tochtergesellschaften einbehalten und abgeführt wurden. Streitig war jeweils, ob die nationale Missbrauchsvorschrift in § 50d Abs. 3 EStG (2007) dem entgegensteht.

Im Vorabentscheidungsersuchen Deister Holding war die Klägerin eine in den Niederlanden ansässige Kapitalgesellschaft, die u. a. zu 26,5 % an einer deutschen operativ tätigen GmbH als Muttergesellschaft beteiligt war. Sie beantragte beim beklagten Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) die Erstattung von Kapitalertragsteuer, die ihre inländische Tochter-GmbH auf Dividendenausschüttungen 2007 einbehalten hat. Alleingesellschafter der niederländischen Holding war eine in Deutschland lebende Privatperson („Mäander-Struktur“). Die Holding hatte ein Büro in den Niederlanden angemietet, beschäftigte zwei Mitarbeiter und vergab Darlehen an Konzerngesellschaften. Nach Ansicht des BZSt übte die Holdinggesellschaft jedoch keine eigene Wirtschaftstätigkeit i. S. des § 50d Abs. 3 Satz 3 EStG (2007) aus, so dass das BZSt die Kapitalertragsteuererstattung versagte.

Im Vorabentscheidungsersuchen Juhler Holding war die Klägerin eine in Dänemark ansässige Kapitalgesellschaft. Sie hielt Beteiligungen an mehr als 25 europäischen Tochtergesellschaften, die zum Teil auch in Dänemark ansässig und aktiv waren. Die Holding beschäftigte keine eigenen Arbeitnehmer und verfügte über keine Geschäftsräume, jedoch über einen Telefonanschluss und eine E-Mail-Adresse. Im Bedarfsfall griff sie auf Räumlichkeiten und sonstige Einrichtungen sowie auf das Personal anderer Konzerngesellschaften zurück. Sie wurde in Dänemark aus dem aktiv tätigen Konzern dauerhaft ausgegliedert, u. a. um die Zinskosten im Konzern zu optimieren. Ihre Alleingesellschafterin war eine Limited mit Sitz in Zypern, die keine Wirtschaftstätigkeit ausübte. Alle Anteile an dieser Limited wurden von einer in Singapur ansässigen natürlichen Person gehalten. Die Holding beantragte beim beklagten BZSt die Erstattung von Kapitalertragsteuer, die ihre inländische Tochter-GmbH auf Gewinnausschüttungen 2011 einbehalten hat. Das BZSt lehnte den Antrag unter Hinweis auf § 50d Abs. 3 EStG ab.

Verstoß gegen die Mutter-Tochter-Richtlinie

 Der EuGH macht deutlich, dass Art. 5 Abs. 1 der Mutter-Tochter-Richtlinie ein Verbot postuliert, von einer in einem Mitgliedstaat niedergelassenen Tochtergesellschaft an ihre in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassene Muttergesellschaft ausgeschüttete Gewinne einem Steuerabzug an der Quelle zu unterwerfen. Davon kann nach Art. 1 Abs. 2 der Mutter-Tochter-Richtlinie nur abgewichen werden, wenn dies „erforderlich“, d.h. verhältnismäßig ist. Damit steht fest, dass „eine allgemeine Vermutung für das Vorliegen von Steuerhinterziehung und Missbrauch keine Steuermaßnahme rechtfertigen [kann], die die Ziele einer Richtlinie oder die Ausübung einer vom Vertrag garantierten Grundfreiheit beeinträchtigt“ (Rz. 61). Der EuGH fordert von den nationalen Steuerbehörden, dass sie „den Vorgang als Ganzes individuell prüfen“ (Rz. 62). Zur Feststellung eines Missbrauchs durch die Steuerbehörde verlangt der EuGH konkret, „dass in jedem Einzelfall eine umfassende Prüfung der betreffenden Situation vorgenommen wird, die sich auf Gesichtspunkte wie die organisatorischen, wirtschaftlichen oder sonst beachtlichen Merkmale des Konzerns, zu dem die betreffende Muttergesellschaft gehört, und die Strukturen und Strategien dieses Konzerns erstreckt“ (Rz. 74). Zudem muss die Möglichkeit für den Steuerpflichtigen bestehen, „das Vorliegen wirtschaftlicher Gründe zu beweisen“ (Rz. 70).

Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit

 Neben der Prüfung der Mutter-Tochter-Richtlinie überprüfte der EuGH § 50d Abs. 3 EStG auch vor dem Hintergrund der Grundfreiheiten. Grundsätzlich kann eine Vorschrift wie § 50d Abs. 3 EStG sowohl unter die Niederlassungsfreiheit als auch unter die Kapitalverkehrsfreiheit fallen. Aufgrund der im konkreten Sachverhalt vorliegenden Kontrollbeteiligungen prüfte der EuGH § 50d Abs. 3 EStG im Hinblick auf die Vereinbarkeit mit der Niederlassungsfreiheit. Der EuGH stellt klar, „dass die Herkunft der Anteilseigner der im Ausgangsverfahren betroffenen Gesellschaften keinen Einfluss auf das Recht dieser Gesellschaften hat, sich auf die Niederlassungsfreiheit zu berufen“ (Rz. 84). Da § 50d Abs. 3 EStG (nur) auf gebietsfremde Muttergesellschaften anzuwenden ist, werden diese davon abgehalten, „in Deutschland durch eine dort niedergelassene Tochtergesellschaft wirtschaftlich tätig zu werden, und beschränkt somit die Niederlassungsfreiheit“ (Rz. 90). Diese Beschränkung ist aus den oben genannten Gründen nicht rechtfertigungsfähig.

Praxisfolgen

 Das Verfahren betrifft zwar direkt nur die alte Fassung des § 50d Abs. 3 EStG (anwendbar bis 2011). Soweit in diesen Jahren noch Ansprüche verfahrensrechtlich geltend gemacht werden, darf § 50d Abs. 3 EStG diesen Ansprüchen nicht mehr entgegengehalten werden. Darüber hinaus lassen sich die Ausführungen des EuGH zwanglos auf die aktuelle Fassung von § 50d Abs. 3 EStG übertragen. Durch das BeitrRLUmsG vom 7.12.2011 wurde § 50d Abs. 3 EStG mit Wirkung von 2012 an geändert. Angesichts der sehr deutlichen Ausführungen des EuGH im vorliegenden Urteil ist aber kaum vorstellbar, dass er bei der Beurteilung von § 50d Abs. 3 EStG n.F. zu einer anderen Beurteilung kommen könnte. Es spricht somit viel dafür, auch für Jahre ab 2012 § 50d Abs. 3 EStG im Lichte der jetzigen Entscheidung auszulegen, sodass in allen offenen Verfahren die Möglichkeit eines umfassenden Gegenbeweisverfahrens eröffnet sein müsste.

Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass die Vorlagesachverhalte zwar alle reine EU-Sachverhalte waren und die jeweiligen Muttergesellschaften auch tatsächlich einen beherrschenden Einfluss hatten. Daher musste nur die Niederlassungsfreiheit geprüft werden. Jedoch könnte in einem Drittstaatenfall auch ein Verstoß gegen die Kapitalverkehrsfreiheit anzunehmen sein. In diesen Fällen kommt es nach der Rechtsprechung des EuGH nicht auf die tatsächliche Beteiligungshöhe, sondern nur auf den Gegenstand der in Frage stehenden Norm an. Nach Absenkung der qualifizierten Beteiligungshöhe auf 10% im Erstattungsanspruch nach § 43b Abs. 2 EStG ist nicht davon auszugehen, dass ein sicherer Einfluss auf die Entscheidungen der die Dividenden ausschüttenden Gesellschaft ausübt wird; die verfahrensrechtliche Norm selbst (§ 50d EStG) beinhaltet keine Beteiligungsgrenze. Daher könnte auch in Fällen, in denen einer in einem Drittstaat ansässigen Kapitalgesellschaft aufgrund von § 50d Abs. 3 EStG die Kapitalertragsteuerreduzierung eines DBA verweigert wird, ein Verstoß gegen die Kapitalverkehrsfreiheit vorliegen. Auch hier ist daher zu empfehlen, die Anwendung des § 50d Abs. 3 EStG in der derzeitigen Form nicht mehr zu akzeptieren.

Gerne werden wir Sie bei diesem Verfahren unterstützen – sprechen Sie einfach die Kontaktpersonen an.

Anmerkung

BMF-Schreiben vom 04.04.2018
Mit Datum vom 04.04.2018 hat das BMF (siehe Deloitte Tax-News, siehe englischer Beitrag in den German Tax and Legal News) ein Schreiben hinsichtlich der unionsrechtkonformen Auslegung des § 50d Abs. 3 EStG veröffentlicht. Das Schreiben nimmt sowohl Stellung zum § 50d Abs. 3 EStG a.F. als auch zum aktuell gültigen § 50d Abs. 3 EStG (§ 50d Abs. 3 EStG in seiner Fassung des BeitrRLUmsG ab 2012).

FG Köln, Beschluss vom 17.05.2017 zur aktuellen Regelung des § 50d Abs. 3 EStG 2012
Auch bzgl. der mit Wirkung zum 01.01.2012 etwas entschärften Regelung hat das FG Köln europarechtliche Bedenken und hat § 50d Abs. 3 EStG 2012 ebenfalls dem EuGH vorgelegt (Beschluss vom 17.05.2017, 2 K 773/16, beim EuGH abhängig: Rs. C-440/17.

Fundstelle

 EuGH, Urteil vom 20.12.2017, C-504/16 und C-613/16

Ihr Ansprechpartner

Dr. Alexander Linn
Partner

allinn@deloitte.de
Tel.: 089 29036-8558

Benedikt Pignot
Manager

bpignot@deloitte.de
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