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08.12.2014
Indirekte Steuern/Zoll

EuGH: Selektive Anwendung des ermäßigten Steuersatzes bei Hörbüchern und E-Books

Bei der Frage, ob der ermäßigte Mehrwertsteuersatz auch für Hörbücher oder E-Books infrage kommt, hat der EuGH mit Urteil vom 11.09.2014 entschieden, dass die Sichtweise der Mitgliedstaaten entscheidend ist, die prüfen müssen, ob bzw. inwieweit eine Vergleichbarkeit zwischen gedrucktem Exponat und Büchern auf anderen elektronischen Medien gegeben ist.

Sachverhalt

In dem Verfahren ging es um die Auslegung von Art. 98 Abs. 2 Unterabschnitt 1 und Anhang III Nr. 6 MwStSystRL in der Fassung der RL 2009/47/EG. Die Klägerin wandte sich gegen einen Vorbescheid zur Besteuerung der Lieferung von E-Books. Die Klägerin ist im Buchverlagswesen tätig. Ihre Verlagstätigkeit umfasst Bücher der allgemeinen Literatur und Lehrbücher. Sie verlegt auch sogenannte Hör- und E-Bücher. Ein Hörbuch ist ein auf einem physischen Träger wie einer CD oder einer CD-ROM gespeichertes Buch, das vorgelesen wird und zum Anhören bestimmt ist. Ein E-Buch ist ein auf einem physischen Träger wie einer CD gespeichertes Buch, das nach seinem Inhalt und nach seiner Struktur nahezu vollständig einem gedruckten Buch und dem darin enthaltenen geschriebenen Text entspricht. Lexika und Wörterbücher auf einer CD sind Beispiele für E-Bücher, die von einer CD auf einen Computer oder ein Lesegerät geladen werden. Auch von Lehrbüchern gibt es auf CD oder USB-Sticks gespeicherte Versionen.

Der Antrag der Klägerin auf den Vorbescheid bezog sich nicht auf E-Bücher, die aus dem Internet heruntergeladen werden können. Hör- oder E-Bücher im Sinne des Antrags sind Bücher, die auf einer CD oder CD-ROM, einem USB-Stick oder einem sonstigen entsprechenden physischen Träger gespeichert sind und die gesondert von herkömmlichen gedruckten Büchern verkauft werden und einer gesonderten Preisgestaltung unterliegen. Hörbücher geben den geschriebenen Text gedruckter Bücher wieder. E-Bücher haben überwiegend denselben Inhalt wie gedruckte Bücher und gleichen diesen in ihrer äußeren Gestaltung und Struktur. Die E-Buch-Versionen von Lehrbüchern können jedoch in gewissem Umfang auch weitere Materialien enthalten, etwa verschiedene Übungsaufgaben, die in den gedruckten Lehrbüchern nicht enthalten sind. Von Hörbüchern gibt es grundsätzlich auch ein nach seinem Inhalt und seiner Struktur entsprechendes gedrucktes Buch. Von E-Büchern gibt es hingegen nicht immer ein solches nach seinem Inhalt und seiner Struktur entsprechendes gedrucktes Buch.

In ihrem Antrag auf Vorbescheid hatte die Klägerin gefragt, ob auf einer CD oder CD-ROM, einem USB-Stick oder einem sonstigen entsprechenden physischen Träger gespeicherte Hör- und E-Bücher als Bücher im Sinne des § 85a Abs. 1 Nr. 7 AVL (FIN-UStG) angesehen werden können, auf deren Verkauf der ermäßigte Steuersatz angewandt werden darf. Die finnische Steuerbehörde hatte in ihrem Vorbescheid an die Klägerin festgestellt, dass gem. § 85a Abs. 1 Nr. 7 und Abs. 3 AVL nur eine gedruckte oder in vergleichbarer Weise hergestellte Veröffentlichung als Buch gelte. Die auf einem physischen Träger gespeicherten Hör- und E-Bücher im Sinne des Antrags könnten daher nicht als Bücher im Sinne dieser Bestimmungen angesehen werden.

Nach Ansicht der finnischen Steuerbehörde sind gedruckte Bücher und Hör- sowie E-Bücher keine im Sinne der MwStSystRL gleichartigen Waren. Sie stünden auch nicht in einem derartigen Wettbewerbsverhältnis zueinander, so dass die steuerliche Neutralität es geböte, denselben Steuersatz auf sie anzuwenden. Gedruckte Bücher und auf einem physischen Träger gespeicherte Hör- und E-Bücher unterschieden sich nach ihrem Wesen, ihren Eigenschaften und der Art ihrer Benutzung voneinander. Hör- und E-Bücher könnten viele Eigenschaften aufweisen, die gedruckte Bücher nicht hätten. Daher könne die Gleichstellung von Hör- und E-Büchern mit gedruckten Büchern möglicherweise zu schwierigen und gegen die Neutralität verstoßenden Abgrenzungen gegenüber anderen Tonerzeugnissen und anderem Material in elektronischer Form führen. Hörbücher könne man zudem nicht ohne technische Hilfsmittel anhören und E-Bücher nicht ohne sie lesen. Auf einem physischen Träger gespeicherte Hör- und E-Bücher stünden im direkten Wettbewerb mit entsprechenden Produkten, die über das elektronische Netz vertrieben würden. Diese Produkte seien nach ihrem Wesen, ihren Eigenschaften und der Art ihrer Benutzung gleichartig. Auf Hör- und E-Bücher, die auf einem physischen Träger gespeichert seien, den ermäßigten Steuersatz anzuwenden, während auf aus Sicht des Verbrauchers gleichartige, über das elektronische Netz vertriebene Produkte der normale Steuersatz angewendet werde, würde zu Wettbewerbsverzerrungen führen, da die steuerliche Behandlung vom Vertriebskanal des Produkts abhinge. In Bezug auf die Wettbewerbsverzerrung spiele es keine Rolle, dass im Rahmen der Mehrwertbesteuerung auf einem physischen Träger gespeicherte Hör- und E-Bücher als Gegenstände und die entsprechenden über das elektronische Netz vertriebenen Produkte als Dienstleistungen angesehen würden.

Die Klägerin trug vor, dass nach einer einstimmigen Leitlinie des Mehrwertsteuerausschusses vom Dezember 2010 Anhang III Nr. 6 MwStSystRL neben den herkömmlichen auf Papier gedruckten Büchern auch den Inhalt von auf physischen Datenträgern wie Kassetten, Disketten, CD, DVD, CD-ROM oder USB-Sticks gespeicherten Büchern erfasse, die im Wesentlichen den gleichen Informationsgehalt hätten wie gedruckte Bücher. Ein Hörbuch enthalte lediglich den geschriebenen Text eines gedruckten Buchs, der vorgelesen werde. Ein E-Buch könne je nach seinem Dateiformat und den Eigenschaften des Lesegeräts auch eine Suchfunktion enthalten. Ein auf einem physischen Datenträger gespeichertes E-Buch könne nicht aktualisiert werden. Auf den physischen Träger, auf dem das Hör- oder E-Buch gespeichert sei, könnten keine anderen Daten gespeichert werden.

Der EuGH musste entscheiden, ob Art. 98 Abs. 2 Unterabschnitt. 1 und Anhang III Nr. 6 MwStSystRL unter Berücksichtigung des Neutralitätsgrundsatzes einer nationalen Regelung entgegenstehen, nach der auf gedruckte Bücher ein ermäßigter Mehrwertsteuersatz angewandt wird, auf Bücher, die auf anderen physischen Trägern wie CD oder CD-ROM oder USB-Sticks gespeichert sind, jedoch der normale Steuersatz. Der EuGH hatte auch zu prüfen, ob es eine Rolle spielt, ob ein Buch zum Lesen oder zum Anhören (Hörbuch) bestimmt ist, ob es von dem auf einer CD oder CD-ROM, einem USB-Stick oder einem entsprechenden anderen physischen Träger gespeicherten Buch oder Hörbuch ein gedrucktes Buch gleichen Inhalts gibt und dass bei einem auf einem anderen physischen Träger als Papier gespeicherten Buch technische Eigenschaften dieses Trägers, wie etwa Suchfunktionen, benutzt werden können.

Entscheidung

Der EuGH hat keine Tatsachenentscheidung getroffen, sondern lediglich allgemein festgestellt, dass Art. 98 Abs. 2 Unterabschnitt 1 und Anhang III Nr. 6 MwStSystRL unter Beachtung des Neutralitätsgrundsatzes (was Sache des nationalen Gerichts ist) es nicht verbieten, dass ein Mitgliedstaat für gedruckte Bücher einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz anwendet, während Bücher, die auf anderen physischen Trägern wie einer CD oder CD-ROM oder USB-Sticks gespeichert sind, dem Normalsteuersatz unterliegen.

Nach dem Urteil wollte der Richtliniengeber die Mitgliedstaaten nicht verpflichten, auf alle Bücher, unabhängig davon, auf welchem physischen Träger sie gespeichert sind, einen identischen ermäßigten Steuersatz anzuwenden. Die Mitgliedstaaten können unter Beachtung des Neutralitätsgrundsatzes die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes auf bestimmte Arten von Büchern (d.h. auf unterschiedlichen Datenträgern) beschränken.

Nach dem EuGH-Urteil ist für die Frage, ob Bücher auf unterschiedlichen Datenträgern gleich behandelt werden müssen oder nicht, auf den Durchschnittsverbraucher des jeweiligen Mitgliedstaats (also nicht auf den Durchschnittsverbraucher allgemein!) abzustellen, da die Beurteilung des Durchschnittsverbrauchers davon abhängig sein könne, in welchem Ausmaß die neuen Technologien sich im jeweiligen nationalen Markt durchgesetzt haben und die technischen Vorrichtungen verfügbar sind, die es ihm ermöglichen, auf Bücher zuzugreifen, die auf anderen physischen Trägern als Papier gespeichert sind.

Das nationale Gericht hat unter Berücksichtigung der Bedürfnisse des Durchschnittsverbrauchers zu bewerten, ob gedruckte Bücher und Bücher auf anderen Datenträgern ähnliche Eigenschaften haben und nach einem Kriterium der Vergleichbarkeit in der Verwendung denselben Bedürfnissen dienen, um zu ermitteln, ob die bestehenden Unterschiede die Entscheidung des Durchschnittsverbrauchers, das eine oder das andere dieser Bücher zu wählen, erheblich oder spürbar beeinflussen.

Anmerkung

Dem Urteil kann entnommen werden, dass eine (wie jetzt in Deutschland zum 01.01.2015) vorgenommene Gleichsetzung zwischen Hör- und gedruckten Büchern (die ja gerade voraussetzt, dass insoweit gleichartige Produkte anzunehmen sind), zwingend auch eine Steuerermäßigung für E-Bücher auf körperlichen Datenträgern geboten ist.

Fundstelle

EuGH, Urt. v. 11.09.2014 – C-219/13

Ihre Ansprechpartner

Markus Lamm
Senior Manager

mlamm@deloitte.de
Tel.: 0211 8772-2205

Nico Löhr
Consultant

nloehr@deloitte.de
Tel.: 0211 8772-4145

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