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02.02.2016
Indirekte Steuern/Zoll

BMF: Aktuelle Diskussion - Zuordnung der umsatzsteuerfreien Warenlieferung in einem Reihengeschäft

In seinem Schreiben vom 28.12.2015 nimmt das BMF zu der Zuordnung der Warenbewegung im Reihengeschäft und damit zur Bestimmung der steuerfreien grenzüberschreitenden Warenlieferung Stellung und kommt zu dem Ergebnis, dass eine praktikable und möglicherweise auf längere Sicht rechtssichere Regelung aufgrund der jüngsten höchstrichterlichen Entscheidungen nur durch eine gesetzliche Änderung herbeigeführt werden kann.

Hintergrund

Eine innergemeinschaftliche Lieferung ist nach § 4 Nr. 1 Buchst. b) i.V.m. § 6a Abs. 1 UStG steuerfrei, wenn der Gegenstand der Lieferung in einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union befördert oder versendet wird und der Warenempfänger erwerbssteuerpflichtiger Abnehmer ist. Auch die Ausfuhrlieferung nach § 4 Nr. 1 Buchst. a) i.V.m. § 6 UStG setzt eine Warenbewegung im Rahmen der Lieferung, für welche die Steuerbefreiung begehrt wird, voraus.

Bei einem Reihengeschäft im Sinne des § 3 Abs. 6 Satz 5 UStG mit beispielsweise drei Beteiligten (A, B und C) besteht die Besonderheit, dass es zwei Lieferungen (A an B und B an C) gibt. Dabei ist die Beförderung oder Versendung nur einer der Lieferungen in der Reihe zuzuordnen (§ 3 Absatz 6 Satz 5 UStG). Nur für eine bewegte Lieferung kann ein Unternehmer unter weiteren Voraussetzungen die Steuerbefreiung für innergemeinschaftliche Lieferungen bzw. Ausfuhrlieferungen in Anspruch nehmen. Bei den restlichen (vorangehenden oder nachfolgenden) Lieferungen handelt es sich um sog. ruhende und grundsätzlich steuerpflichtige Lieferungen.

Fragestellung

Die teilweise divergierende Rechtsprechung des EuGH (Euro Tyre Holding; VStR) und des BFH (Entscheidung V R 3/10; XI R 11/09) sowie der Finanzgerichte führte in der Vergangenheit für den Rechtsanwender zu erheblicher Unsicherheit darüber, anhand welcher Kriterien bestimmt wird, welche der Lieferungen in einem Reihengeschäft die warenbewegte und damit steuerbefreite Lieferung ist.

Der Bundesfinanzhof urteilte nunmehr in zwei Entscheidungen vom 25.02.2015, XI R 15/14 und XI R 30/13, darüber, anhand welcher Kriterien die Warenbewegung in einem Reihengeschäft einer der Lieferungen zugeordnet wird, wenn der Erst- oder der Zweiterwerber den Gegenstand der Lieferung befördert oder versendet. Des Weiteren gibt er einen Hinweis, wie der inländische Unternehmer über Erklärungen des Erwerbers Vertrauensschutz erlangen kann.

Bisher geltende Verwaltungsauffassung

Die Finanzverwaltung hat bisher als maßgebendes Kriterium für die Zuordnung der bewegten Lieferung die Transportbeauftragung angesehen und die sich daran weiter anschließenden und zwischen den jeweiligen Vertragsparteien vereinbarten Lieferkonditionen, insbesondere wenn ein mittlerer Unternehmer in der Reihe einen Spediteur im eigenen Namen auf eigene Rechnung beauftragt hat.

Neue Tendenzen durch die EuGH- und BFH-Rechtsprechung

Nach Ansicht des BFH komme es für die Zuordnung der bewegten Lieferung weder auf die Transportbeauftragung allein noch auf die Erklärung des mittleren Unternehmers an. Ein Abstellen auf die „Verpflichtungen und Absichtsbekundungen“ des Lieferers und des Erwerbers komme nicht in Betracht, da es sich bei der Prüfung des Vorliegens einer steuerfreien innergemeinschaftlichen Lieferung um objektive Voraussetzungen handele.

•  Grundsatz: Gesetzliche Vermutung

Nach Auffassung des XI. Senats des BFH ist § 3 Abs. 6 Satz 6 Halbsatz 1 UStG eine gesetzliche Vermutung dergestalt zu entnehmen, dass regelmäßig die Lieferung an den Ersterwerber die warenbewegte und damit steuerfreie Lieferung sei.

•  Abstellen auf den Zeitpunkt der Verschaffung der Verfügungsmacht

Gemäß § 3 Abs. 6 Satz 6 Halbsatz 2 UStG kann diese Vermutung aber widerlegt werden.

Die Frage, ob der Ersterwerber den Gegenstand als Lieferer befördert oder versendet hat, sei anhand einer umfassenden Würdigung aller besonderen Umstände des Einzelfalls, insbesondere in Abhängigkeit vom Zeitpunkt des Übergangs der Verfügungsmacht an der Ware auf den letzten Abnehmer, zu bestimmen.

Verschaffung der Verfügungsmacht meint, dass eine Vertragspartei durch eine andere ermächtigt wird, über einen Gegenstand faktisch so zu verfügen, als wäre sie sein Eigentümer; d.h. es erfolgt ein Übergang von wirtschaftlicher Substanz, Wert und Ertrag eines Gegenstand auf den Leistungsempfänger.

► Beispiel – Beauftragung durch den mittleren Abnehmer:

Beauftragt der mittlere Unternehmer in der Reihe (A – B – C) den Warentransport (BFH XI R 15/14), gilt die deutsche Vorschrift des § 3 Abs. 6 Satz 6 UStG als unionsrechtskonform und sieht dabei vor, dass grundsätzlich oder im Zweifel (bezogen auf die Verfügungsmacht an der Ware im Zeitpunkt des Grenzübertritts) die erste Lieferung in der Reihe die warenbewegte, steuerfreie Lieferung ist.

Die Lieferung von A an B wäre entgegen der gesetzlichen Vermutung nicht steuerfrei, wenn im Verhältnis zwischen B und C der B dem C bereits Verfügungsmacht an der Ware verschafft hat, bevor die Ware das Inland verlassen hat. Die erste Lieferung ist unter Berücksichtigung des Merkmals des Zeitpunkts der Verschaffung der Verfügungsmacht nur dann die grenzüberschreitende steuerbefreite Lieferung, sofern dem Zweiterwerber im Inland keine Verfügungsmacht übertragen wird.

► Beispiel – Beauftragung durch den letzten Unternehmer:

Auch wenn der letzte Abnehmer in der Reihe die Beförderung/Versendung beauftragt und er den Warentransport bezahlt (BFH XI R 30/14), kann die Lieferung an ihn nicht als steuerbefreite Lieferung gelten – wie bisher die gefestigte deutsche Auffassung –, sondern bereits die vorangehende Lieferung, wenn der letzte Abnehmer vor Grenzübertritt noch keine Verfügungsmacht an der Ware hat.

► Beachte – Beauftragung einer Spedition durch den Zweiterwerber:

Das Merkmal der Übertragung der Befugnis, über den Gegenstand der Lieferung wie ein Eigentümer zu verfügen, gilt nach Auffassung des BFH als Zuordnungskriterium der warenbewegten Lieferung auch in den Fällen, in denen der Zweiterwerber eine Spedition mit der Abholung der Waren beim ersten Unternehmer in der Kette beauftragt hat. In der Entscheidung XI R 30/13 hält der BFH fest, dass auch dann, wenn ein Zweiterwerber/letzter Abnehmer die Waren per Spedition abholt, die Warenbewegung im Verhältnis der ersten Lieferung sein könne, wenn im Verhältnis des Ersterwerbers an den Zweiterwerber die Verfügungsmacht im Inland noch nicht übertragen wurde. Er selbst nennt diesen Fall unwahrscheinlich, aber nicht ausgeschlossen.

•  Vertrauensschutz

Vertrauensschutz nach § 6a Abs. 4 UStG könne der erste Unternehmer in der Kette dadurch erlangen, dass er von dem Ersterwerber die Bestätigung einholt, dass dieser die Verfügungsmacht nicht auf einen Dritten übertrage, solange sich der Gegenstand der Lieferung noch im Inland befinde.

Vorschlag der Finanzverwaltung

Die höchstrichterliche Rechtsprechung hat in der Finanzverwaltung wie auch in der unternehmerischen und steuerberatenden Praxis für eine erhebliche Verunsicherung gesorgt.

Nach Auffassung der Finanzverwaltung kann eine praktikable und möglicherweise auf längere Sicht rechtssichere Regelung nur durch eine gesetzliche Änderung herbeigeführt werden. Eine denkbare Herangehensweise wäre die Loslösung von der vom BFH als maßgeblich betrachteten tatsächlichen Verschaffung der Verfügungsmacht an dem gelieferten Gegenstand.

Stattdessen könnte typisierend anhand der vom mittleren Unternehmer verwendeten Umsatzsteuer-Identifikationsnummer die Zuordnung der Warenbewegung erfolgen:

Verwendet der mittlere Unternehmer die ihm vom Abgangsmitgliedstaat erteilte Umsatzsteuer-Identifikationsnummer, wäre die gesetzlich weiter bestehende Vermutung, wonach die an den mittleren Unternehmer ausgeführte Lieferung die warenbewegte Lieferung ist, widerlegt. Um den Anforderungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung, der zufolge es für eine unionsrechtskonforme Regelung erforderlich sei, eine Zuordnung der Warenbewegung anhand aller relevanten Umstände des Einzelfalls vorzunehmen, zu genügen, sollte es zusätzlich möglich sein, den Nachweis der Eigenschaft als Lieferer neben der Verwendung der Umsatzsteuer-Identifikationsnummer auch durch andere Nachweise zu erbringen. Eine gesetzliche Regelung wird zudem für die Fälle der Beförderung oder Versendung durch den letzten Abnehmer für erforderlich gehalten.

Anmerkung

Die Entscheidung des BFH stellt die Grundsätze der Verwaltungsanweisung (Abschn. 3.14. UStAE) in Frage. Der BFH verweist darauf, dass der Gesetzgeber handeln müsse. Die Möglichkeit, Vertrauensschutz durch Versicherung des Erstabnehmers dadurch zu erlangen, dass dieser gegenüber dem Erstlieferanten erklärt, im Inland keine Verfügungsmacht an einen Dritten zu verschaffen, muss zunächst praxistauglich umgesetzt werden. Unternehmer sollten zunächst die Kriterien der Rechtsprechung möglichst rechtssicher mit in die Geschäftsabläufe einbeziehen.

Das Dokument mit dem Vorschlag des BMF kann bei den Autoren des Beitrages angefragt werden.

Fundstellen

BFH, Urteil v. 25.02.2015 – XI R 15/14

BFH, Urteil v. 25.02.2015 – XI R 30/13

BFH, Urteil v. 28.05.2013 – XI R 11/09

BFH, Urteil v. 11.08.2011 – V R 3/10

EuGH, Urteil v. 27.09.2012 – C - 587/10

EuGH, Urteil v. 16.12.2010 – C - 430/09

Ihre Ansprechpartner

Markus Lamm
Senior Manager

mlamm@deloitte.de
Tel.: 0211 8772-2205

Nico Löhr
Consultant

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