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24.08.2012
Erbschaftsteuer

BFH: Einkommensteuer des Erblassers im Todesjahr als Nachlassverbindlichkeit abzugsfähig

Die Einkommensteuer des Todesjahres ist unmittelbar in der Person des Erblassers begründet. Sie bleibt trotz des Übergangs auf den Erben als Gesamtrechtsnachfolger eine vom Erblasser herrührende Steuerschuld. Der Erbe kann sie entsprechend seiner Erbquote als Nachlassverbindlichkeit abziehen (Änderung der Rechtsprechung). Bei einer Zusammenveranlagung von im selben Jahr verstorbenen Ehegatten sind Abschlusszahlungen für das Todesjahr aufzuteilen und als Nachlassverbindlichkeiten beim jeweiligen Erwerb von Todes wegen abzugsfähig.

Sachverhalt
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist zu 1/2 Miterbin ihres am 31.12.2004 verstorbenen Vaters (V). Ihre Mutter (M) war bereits am 13.11.2004 vorverstorben. Für Einkommensteuer, Kirchensteuer und Solidaritätszuschlag 2004 waren für V und M, die zusammen veranlagt wurden, Abschlusszahlungen zu entrichten. Die Klägerin machte die Hälfte der Abschlusszahlungen als Nachlassverbindlichkeiten geltend. Das Finanzamt versagte den Abzug. Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg. In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin erklärt, ihre Eltern hätten ein Berliner Testament errichtet. Danach hätten sich die Eltern gegenseitig zu alleinigen Erben eingesetzt. Die Erbschaft nach ihrer Mutter sei ausgeschlagen worden.

Entscheidung
Die anteilig auf die Klägerin als Miterbin entfallenden Abschlusszahlungen für Einkommensteuer, Kirchensteuer und Solidaritätszuschlag für 2004 sind, soweit sie V betreffen, entgegen der Auffassung des FG als Nachlassverbindlichkeiten abzugsfähig. Soweit die Abschlusszahlungen M betreffen, ist die Sache an das FG zurückzuverweisen, da es noch keine Feststellungen dazu getroffen hat, ob V Alleinerbe der M war oder ob die Erbschaft ausgeschlagen wurde.

Von dem Erwerb des Erben sind die vom Erblasser herrührenden Schulden, soweit sie nicht mit einem zum Erwerb gehörenden Gewerbebetrieb oder Anteil an einem Gewerbebetrieb in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen und bereits nach § 12 Abs. 5 und 6 ErbStG berücksichtigt worden sind, als Nachlassverbindlichkeiten abzugsfähig (§ 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG). Nachlassverbindlichkeiten in diesem Sinne sind auch die vom Erblasser herrührenden persönlichen Steuerschulden, die auf den Erben übergegangen sind (§ 1922 Abs. 1 BGB, § 45 Abs. 1 AO; ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteil vom 17.02.2010). Der Erbe tritt als Gesamtrechtsnachfolger grundsätzlich in einem umfassenden Sinne sowohl in materieller als auch in verfahrensrechtlicher Hinsicht in die abgabenrechtliche Stellung des Erblassers ein (vgl. Beschluss des Großen Senats des BFH vom 17.12.2007). Zu den abzugsfähigen Nachlassverbindlichkeiten gehören nicht nur die Steuerschulden, die zum Zeitpunkt des Erbfalls bereits rechtlich entstanden waren, sondern auch die Steuerverbindlichkeiten, die der Erblasser als Steuerpflichtiger durch die Verwirklichung von Steuertatbeständen begründet hat und die mit dem Ablauf des Todesjahres entstehen.

Verbindlichkeiten müssen zum Zeitpunkt des Erbfalls noch nicht voll wirksam entstanden sein. Zivilrechtlich gehen mit dem Erbfall auch "verhaltene", noch werdende und schwebende Rechtsbeziehungen des Erblassers auf den Erben über (ständige Rechtsprechung, vgl. BGH-Urteil vom 07.06.1991). Diese zivilrechtlichen Grundsätze sind auch für die Beurteilung der Nachlassverbindlichkeiten i.S. des § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG zu beachten (vgl. BFH-Urteil vom 05.07.1978). Entscheidend für den Abzug der Steuerschulden als Nachlassverbindlichkeiten ist, dass der Erblasser in eigener Person und nicht etwa der Erbe als Gesamtrechtsnachfolger steuerrelevante Tatbestände verwirklicht hat und deshalb "für den Erblasser" als Steuerpflichtigen eine Steuer entsteht. Das für das Erbschaftsteuerrecht maßgebliche Stichtagsprinzip (§ 9 und § 11 ErbStG) steht dem Abzug dieser Steuerverbindlichkeiten nicht entgegen. Bereits zum Zeitpunkt der Steuerentstehung, also beim Tod des Erblassers steht fest, dass die Belastung kraft Gesetzes mit Ablauf des Todesjahres eintreten wird.

Soweit aus den Entscheidungen des BFH entnommen werden kann, dass der Abzug von Nachlassverbindlichkeiten nach § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG "nur" bei einer zum Zeitpunkt des Erbfalls bestehenden rechtlichen Verpflichtung möglich ist, hält der Senat daran jedenfalls für die kraft Gesetzes aufgrund einer Tatbestandsverwirklichung des Erblassers entstehenden Steueransprüche nicht mehr fest (vgl. hierzu z.B. BFH-Urteile vom 24.03.1999, 15.01.2003, 14.12.2004, 14.11.2007, 17.02.2010). Es verbleibt jedoch dabei, dass der Abzug einer Steuerschuld als Nachlassverbindlichkeit nach § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG - abweichend vom Zivilrecht - zusätzlich voraussetzt, dass sie eine wirtschaftliche Belastung darstellt (vgl. BFH-Urteil vom 02.03.2011). Nach diesen Grundsätzen ist die auf den Erben entsprechend seiner Erbquote entfallende Abschlusszahlung für die vom Erblasser herrührende Einkommensteuer des Todesjahres als Nachlassverbindlichkeit gemäß § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG abzugsfähig.

Stirbt einer der Ehegatten und ergibt sich aufgrund der Zusammenveranlagung der Ehegatten für das Todesjahr eine Abschlusszahlung, ist die vom verstorbenen Ehegatten als Erblasser herrührende Einkommensteuerschuld analog § 270 AO (in der für 2004 maßgeblichen Fassung) zu ermitteln. Soweit die Abschlusszahlung auf den Verstorbenen (Erblasser) entfällt, ist sie beim Erwerb des Erben als eine vom Erblasser herrührende Nachlassverbindlichkeit abzugsfähig. Ist jedoch bei einem Ableben der Ehegatten im selben Jahr der zweitverstorbene Ehegatte Alleinerbe des zuerst verstorbenen Ehegatten gewesen, ist beim Erwerb der Erben des zweitverstorbenen Ehegatten die gesamte Abschlusszahlung aus der Zusammenveranlagung der verstorbenen Ehegatten für das Todesjahr als Nachlassverbindlichkeit abzugsfähig. Soweit die Abschlusszahlung auf den zuerst verstorbenen Ehegatten entfällt, mindert sie den Erwerb des zweitverstorbenen Ehegatten und besteht bei seinem Ableben mangels entsprechender Tilgung als schwebende, mit Ablauf des Jahres entstehende Belastung weiter. Sie mindert deshalb auch die Bereicherung der Erben des zweitverstorbenen Ehegatten.

Danach mindern im Streitfall die anteilig auf die Klägerin entfallenden Abschlusszahlungen für Einkommensteuer, Kirchensteuer und Solidaritätszuschlag für 2004, soweit sie V betreffen, als Nachlassverbindlichkeiten den Erwerb der Klägerin. Die Sache ist jedoch nicht spruchreif. Aufgrund der vom FG getroffenen tatsächlichen Feststellungen kann nicht beurteilt werden, ob die Abschlusszahlungen, soweit sie M betreffen, ebenfalls als Nachlassverbindlichkeiten vom Erwerb der Klägerin abgezogen werden können. Der von der Klägerin begehrte Abzug ist nur dann zu gewähren, wenn V Alleinerbe der M war. Ist dagegen die Erbschaft des V nach M ausgeschlagen worden, wie die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem BFH vorgetragen hat, sind die auf M entfallenden Abschlusszahlungen nicht als Nachlassverbindlichkeiten vom Erwerb der Klägerin abzuziehen.

Betroffene Norm
§ 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG, § 270 AO
Streitjahr 2004

Vorinstanz
Niedersächsisches Finanzgericht, Urteil vom 23.02.2011, 3 K 332/10, EFG 2011, S. 1342, siehe Deloitte Tax-News

Fundstelle
BFH, Urteil vom 04.07.2012, II R 15/11, BStBl II 2012, S. 790 

Weitere Fundstellen
BFH, Urteil vom 17.02.2010, II R 23/09, BStBl II 2010, S. 641, siehe Deloitte Tax-News
BFH, Beschluss des Großen Senats vom 17.12.2007, GrS 2/04, BStBl II 2008, S. 608
BGH, Urteil vom 07.06.1991, V ZR 214/89, NJW 1991, S. 2558
BFH, Urteil vom 05.07.1978, II R 64/73, BStBl II 1979, S. 23
BFH, Urteil vom 24.03.1999, II R 34/97, BFH/NV 1999, S. 1339
BFH, Urteil vom 15.01.2003, II R 23/01, BStBl II 2003, S. 267
BFH, Urteil vom 14.12.2004, II R 35/03, BFH/NV 2005, S. 1093
BFH, Urteil vom 14.11.2007, II R 3/06, BFH/NV 2008, S. 574
BFH, Urteil vom 02.03.2011, II R 5/09, BFH/NV 2011, S. 1147

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